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Vom Liebesleben der Farne

Von Eva Stanzl

Wissen
Pollenspektrum einer Heuwiese vor rund 30 Jahren als Basis der Viehwirtschaft, mit Gräserpollen in der Ecke links oben, Gänseblümchen- (orange und stachelig, Mitte links) und Löwenzahnpollen in der Ecke rechts unten und das Pollenspektrum von Silage-Grünland aus 2010 mit hauptsächlich Gräserpollen, die Heuschnupfen verursachen. Montage: G. Grabherr/Uni Wien.

Länderübergreifendes Forschungsprojekt zu nachhaltiger Nutzung der Alpen.


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Alpbach/Wien. "Wenn wir jetzt da runtergehen, 50 Meter bis zum Bach, machen wir unten einen Stopp. Wir werden über Biodiversität einer Organismengruppe reden, von der wir uns fragen könnten, wozu wir sie brauchen", weist Georg Grabherr ein.

Die kleine Gruppe um Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle folgt Österreichs Wissenschafter des Jahres auf seinem steilen Abstieg durch den Wald. "Drehen Sie den Kopf immer wieder nach rechts und versuchen Sie für sich selbst herauszufinden, was ich Ihnen dann gleich sagen will", instruiert der in Bregenz geborene Botaniker in alemannischem Sprachrhythmus, während er im Gehen behände ein saftiges Büschel Moos aus dem Boden rupft. Am Rande des Forum Alpbach führt Grabherr an diesem Morgen durch die Ortsumgebung, um der internationalen Delegation die Biodiversität der Alpen näherzubringen.

Die Gruppe stellt sich beim Bach im Halbkreis auf. "Wir sind hier in einem Fichtenwald", erklärt Grabherr und beschreibt dessen räumliche Ausdehnung mit beiden Armen, das Moosbüschel in der Rechten schwingend. "Man könnte fragen, passt der Wald her, passt er nicht her, ist es ein naturferner oder naturnäherer Wald? Er wird genutzt, das sieht man an der Struktur, aber ansonsten ist es ein sehr naturnaher und feuchter Fichtenwald", sagt der in Bregenz geborene Botaniker, das Büschel nun in die Höhe hebend: "Der Unterwuchs ist großartig."

Es gibt 800 Moosarten in Österreich. Bei Grabherrs Exemplar handelt es sich um ein Stück Torfmoos. "Die sind normalerweise in den Hochmooren zu finden, aber diese spezielle Art wächst nur im Wald." Eine Vielzahl Standort-gebundener Arten schaffe Biodiversität. Täglich warnen Experten vor deren Verlust. Jane Smart, Direktorin für Artenvielfalt der Weltnaturschutzunion IUCN, sprach von einer "Aussterbenskrise", da ein Drittel der mittlerweile 70.000 gefährdeten Arten vom Aussterben bedroht ist. Naturschutzgebiete sollen Arten schützen, doch gerade in den artenreichsten Regionen gebe es viel zu wenige davon, berichteten Wissenschafter am Freitag im Fachjournal "Science".

Moose mit Erklärungsbedarf

Die Forscher der Duke University in Durham sichteten die umfangreiche Datenbank der britischen Royal Botanic Gardens. Sie werteten 110.000 Pflanzenarten aus und errechneten die Regionen, wo besonders viele vorkommen. Resultat ist eine Weltkarte, wonach auf einem Sechstel der Landoberfläche zwei Drittel aller Pflanzenarten, 89 Prozent aller Vogelarten und 74 Prozent der Säugetierarten leben. Zu den artenreichsten Regionen gehören tropische und subtropische Inseln in der Karibik und feuchte tropische und subtropische Wälder in Mittel- und Südamerika. Nur sechs Prozent dieser Gegenden stehen aber unter Schutz. Die größte Bedrohung ist der Mensch. "Die direkte Einwirkung durch den Menschen ist mit Abstand massiver als alles, was wir durch den Klimawandel beobachten können", sagt Grabherr: "Wir haben viele Möglichkeiten, einzugreifen."

Unvermeidlich bei der Schaffung stabiler Kulturlandschaften sei die Frage, wozu man etwas brauchen kann. Und da wir nicht alles zu brauchen glauben, ist laut Grabherr die Artenvielfalt "jenes Element der Kulturlandschaft, das sich am stärksten verändert". Denn wenn nur ein einziges Kraut zu stark wuchert oder zugunsten der landwirtschaftlichen Produktion vernichtet wird, kann das das Ökosystem einer ganzen Wiese verändern. "Die Biodiversität ist ein instabiles Element", erläutert der Botaniker: "Das wäre nicht schlimm, wenn sie wiederkäme. Aber ihr Verlust ist linear und unwiederbringlich."

Die Geschichte des Alpbachtals ist eine der menschengemachten Veränderungen. Auf der einen Seite ist das Tal durch die Grauwacken begrenzt. Dieser älteste Sockel der Alpen bot früher Möglichkeiten zum Silberbergbau, die Talbewohner hatten somit schon zu Keltenzeiten eine wirtschaftliche Grundlage. Der gegenüberliegende Wildschönauer Schiefer dient seit Ende des Bergbaus der Landwirtschaft. "Wegen der linearen Struktur des Tals waren früher viele Höfe Selbstversorger. Die Viehwirtschaft hat erst im 20. Jahrhundert eingesetzt. Man sieht heute Ackerterrassen und einen Nutzungswandel hin zum Fremdenverkehr mit 300.000 Übernachtungen im Jahr", erklärt Axel Borsdorf, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Ein Drittel der 120 Bauernbetriebe im Alpbachtal sind heute Nebenerwerbsbetriebe mit zwei bis 50 Hektar Landwirtschaft, größtenteils in Hanglage. Angesichts der globalen Konkurrenz werden sie durch landwirtschaftliche Förderungen gestützt. Um zu überleben, erhalten die Landwirte ihre selbst geschaffene Biodiversität. Für die Artenvielfalt an sich bedeute das: Unterordnung.

Seit der Einführung von konserviertem Futtermittel für Nutztiere in Silagen vor 30 bis 40 Jahren verliert besonders das Grünland an Biodiversität. "1966 war die beste Kuh bei 1000 Litern Milch im Jahr, jetzt sind die Spitzenkühe bei 12.000 Litern", blickt Grabherr auf seine Zeit als Milchkontrolleur in den Vorarlberger Alpen zurück. Wiesen sind die Basis der Milchwirtschaft und modernes Grünland hat sich in Richtung geringerer Biodiversität gewandelt. Die Konsequenzen atmen wir ein. "Heutige Wiesen haben mehr stachelige Gräserpollen, die sehr leicht fliegen und ein Jucken in der Nase, sogar Allergien hervorrufen. Pollen, die Insekten-transportierten, müssen am Bienenpelz halten - sie fliegen nicht so leicht", erläutert der Botaniker.

"Ohne Wasser kein Sex"

Und welche Rolle spielen nun unsere Moose? Nahrung sind sie für uns nicht. Für Allerheiligenkränze sind sie wichtig, aber: "Die Moose haben irgendwie einen Erklärungsbedarf aus rein menschlicher Sicht", sagt Grabherr. Anders ist es aus der Sicht der Natur. Moose speichern Wasser und geben es wie eine Quelle langsam wieder ab. Auf dem Waldboden bieten sie Erosionsschutz bei Regen- oder Hagelwetter. Auch die Farne brauchen die Moose, weil sie einen feuchten Untergrund benötigen, um zu wachsen um sich zu vermehren. Ohne Wasser könnten sie keine Spermatozoiden bilden, die die Eizellen befruchten - oder wie Grabherr erklärt: "Wenn sie kein Wasser haben, gibt es keinen Sex."

Moose schaffen zudem gute Wachstumsbedingungen. Es entstehen große Farne, die den Boden noch mehr festigen. "Die Summe der Serviceleistungen zeigt, dass das alles zusammenhängt. Ökosysteme wirken ineinander." Jede Art existiert als Entwicklungsgruppe in der Evolution. Das System Wald ist keine Maschine, sondern ein Naturerbe. "Doch die Beziehungen zwischen den Moosen, Bäumen und Pilzen sind nicht 100-prozentig fix. Sie schaffen das System zusammen oder gegeneinander, aber nie im Sinne von Gesetzmäßigkeiten, sondern von Beziehungen, Verbindungen und Beeinflussungen."

Österreich, Slowenien, die Schweiz und Südtirol wollen im Bereich nachhaltige Ressourcennutzung in den Alpen nun gemeinsam forschen. Eine entsprechende Absichtserklärung haben Wissenschaftsminister Töchterle und seine Amtskollegen am Rande des Forum Alpbach unterzeichnet. Im Fokus stehen Forschungsprojekte über die natürlichen und sozio-kulturellen Grundlagen nachhaltiger Ressourcennutzung mit dem Schwerpunkt auf Klimawandel, Wasser und Diversität.

Zu hoffen bleibt, dass solche Forschungsprojekte ein breites Bewusstsein wecken. Denn sonst tritt ein, was Grabherr befürchtet: "Trotz Geld für die Bauern werden die Arten gehen, weil wir ihre Rolle nicht wirklich verstehen."