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Vom Liebesleben der Fliegen lernen

Von Heiner Boberski und Eva Stanzl

Wissen

Die Regeln stehen in den Genen, doch die Anpassung ans Leben erfolgt individuell.


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"Wiener Zeitung": Sie stammen aus Australien, mit dem Österreich bisweilen verwechselt wird. Was hat Sie gereizt, hier zu arbeiten?

Barry Dickson: "Das Prinzip ist auf jeden Fall auch auf Menschen anwendbar."
© © Wiener Zeitung

Barry Dickson: Das gute wissenschaftliche Umfeld hat mich gelockt. Ich hatte meinen PhD in der Schweiz gemacht und wollte wieder nach Europa zurück. Der ehemalige Direktor des IMP überzeugte mich, hierher zu kommen, und ich habe es nie bereut.

Manche Forscher sagen das Gegenteil: In Österreich fehle es an Geld für Grundlagenforschung.

Allgemein ist das Umfeld nicht schlecht - die Grundlagenforschung ist hier jedenfalls weitaus besser dotiert als in Australien. Speziell am IMP sind die Bedingungen sehr gut aufgrund der Finanzierung durch den Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, der keine Bedingungen stellt.

Laut seiner Homepage hat sich das IMP die Ergründung der Geheimnisse des Lebens zum Ziel gesetzt. Was machen Sie dabei genau?

Unsere Gruppenleiter wollen wissen, wie das Gehirn funktioniert, wie eine Krebszelle entsteht, wie die Zellteilung im Embryo funktioniert. Das sind fundamentale Prozesse im Leben, die wir auf der molekularen und zellulären Ebene verstehen wollen, ebenso wie die Mechanismen dahinter.

Betreiben Sie auch angewandte, industrienahe Forschung?

Die biomedizinische Grundlagenforschung hier ist natürlich näher zu einer Anwendung als die Teilchenphysik, und die meisten Wissenschafter hier sind sich der Relevanz ihrer Forschung für eine Anwendung im Sinne neuer Behandlungsansätze bewusst. Immerhin hat die meiste Grundlagenforschung, die wir betreiben, direkt oder indirekt zur Entwicklung von Medikamenten innerhalb Boehringer Ingelheims beigetragen, denn alles, was wir entdecken, gehört dem Unternehmen. Dennoch wird ein völlig freier, Neugierde-getriebener Ansatz verfolgt.

Ihre Arbeit dreht sich unter anderem um das Paarungsverhalten der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster), bei der nur jungfräuliche Weibchen zur Paarung bereit sind. Hat sich ein Weibchen bereits gepaart, weist es alle weiteren Bewerber ab, da hilft auch das aufwendigste Balzritual nichts. Durch Versuch und Irrtum lernen die Männchen, ob sich eine Annäherung überhaupt lohnt. Was lernen wir daraus über die Menschen?

Von unserer Forschung mit den Fruchtfliegen erhoffen wir uns ein besseres Verständnis davon, wie die Schaltkreise von Nervenzellen arbeiten, um ein Allgemein-Verhalten zu generieren. Tiere erhalten Information durch die Sinne von der Außenwelt, Information von innen aus der eigenen Physiologie und solche, die der Erfahrung entspringt. Das Paarungsverhalten von Drosophila ist ein exzellentes Modell, da es von allen drei Informationskanälen gesteuert wird, mit dem Resultat einer komplexen Verhaltensabfolge. Gibt es ein Weibchen, um das es sich zu werben lohnen würde, ist das Werben um sie für mich gerade passend, und bei welchen Frauentypen war ich bisher schon erfolgreich? - Fallen Ihnen sonst noch Tiere ein, die solchen Gedankengängen folgen?

Das tun vermutlich alle Tiere.

(lacht) Daher sind wir optimistisch, dass wir das, was wir lernen, verallgemeinern können. Die Details sind vermutlich von Art zu Art verschieden, aber wir hoffen, dass das Prinzip gleich bleibt. Drosophila melanogaster ist seit über 100 Jahren ein Modell in der biologischen Forschung. Seitdem wurde enormes Hintergrundwissen über sie gesammelt, um gezielt Experimente durchzuführen. Wir können einzelne Fruchtfliegen-Gene unabhängig voneinander manipulieren. Wir sind schon fast so weit, dass wir auch ihre Neuronen im Gehirn manipulieren können, um zu untersuchen, was das Gehirn tut, wenn wir einzelne von ihnen abschalten, und wie sich diese Veränderungen auf die anderen Neuronen auswirken.

Ihnen geht es um das Paarungsverhalten von Fruchtfliegen. Paarung beruht auch auf Instinkt. Sind alle Instinkte von den Genen gesteuert?

Per definitionem ist jeder Instinkt genetisch programmiert, und es gibt eine hohe Anzahl an Genen, die für Sexualverhalten kodieren. Instinkt aber bedeutet nur, dass das Tier weiß, wie etwas zu tun ist, selbst wenn es keine diesbezüglichen Erfahrungen hat. Die Gene bauen solche angeborenen Schablonen in den Fliegen ein. Doch obwohl diese Schablonen für die Vorfahren funktioniert haben, muss sich jedes Individuum an seine eigenen Umstände anpassen. Auch die Anpassungsfähigkeit steht übrigens in den Genen geschrieben: Zwar ist nicht programmiert, wie genau sich das Individuum anpassen wird, aber sehr wohl, welcher Mechanismen es sich dabei bedienen wird. In diesem Sinn funktionieren unsere Gehirne und jene der Fliegen gleich.

Woran forschen Sie als Nächstes?

Ein Fliegengehirn hat an die 100.000 Nervenzellen, von denen 2000 das sogenannte "fruitless"- Gen wiedergeben. Es reguliert das sexspezifische, angeborene Verhalten. Diese 2000 Nervenzellen sind relevant für das Paarungsverhalten. Wir haben sie charakterisiert und dreidimensional dargestellt. Nun wollen wir herausfinden, was all diese verschiedenen Neuronen zur Informationsverarbeitung beitragen und wie sich das in Verhalten ausdrückt.

Wie darf man sich das vorstellen?Angenommen, intelligente Marsmännchen würden den Nasa-Rover "Curiosity" zum ersten Mal auf ihrem Planeten sehen. Sie würden wissen wollen, wie er funktioniert und ihn zunächst auseinandernehmen und eine Liste der Teile erstellen. So eine Liste haben auch wir gemacht, und jetzt wollen wir wissen, was die Teile können. Entfernen wir einen Teil, kann "Curiosity" vielleicht nicht mehr nach links abbiegen. Nun untersuchen wir, ob dieser Teil dabei aktiv ist. Dann sehen wir uns an, ob es ausreicht, ihn zu aktivieren, um Curiosity abbiegen zu lassen. So ähnlich gehen wir vor, wenn wir den Beitrag einzelner Nervenzellen zum Fortpflanzungsverhalten erforschen.

Ethische Bedenken setzen eine Schranke vor Hirnforschung am lebenden Menschen. Könnten wir dort rein theoretisch dasselbe machen?

Das Prinzip ist auf jeden Fall auch auf Menschen anwendbar, doch wir wissen zu wenig, um ein gutes, wiederholbares Experiment zu entwerfen. In bestimmten Experimenten wurde neuronale Aktivität moduliert, etwa aus therapeutischen Gründen zur Tiefenstimulierung der Gehirne von Parkinson-Patienten. Die Präzision ist aber nicht so hoch wie im Experiment mit Fliegen, wo wir eine definierte, einzelne Nervenzelle nehmen können, die wir mit einem definierten Aktivitätsmuster aktivieren.

Experimente mit Epilepsie-Patienten haben gezeigt, dass es sogar ein Neuron gibt, das immer dann reagiert, wenn die Patienten ein Bild der Schauspielerin Jennifer Aniston sehen: Es gibt keinen Zweifel, dass diese Zelle diese Funktion durch Erfahrung gelernt hat. Es wäre sehr interessant, diese Zelle künstlich zu aktivieren und zu sehen, ob der Mensch an Jennifer Aniston denkt, wenn es kein Bild gibt. Die Antwort ist vermutlich nein, denn es ist unwahrscheinlich, dass nur diese eine Zelle die einzige ist, die für die Wahrnehmung dieser Schauspielerin zuständig ist.

Zur PersonBarry Dickson, geboren 1962 in Melbourne (Australien), ist Zellbiologe und ein führender Experte auf dem Gebiet der neuronalen Netzwerke. 2005 wurde er mit dem Wittgenstein-Preis ausgezeichnet, seit 2006 leitet er das Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien.