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Vom Mikrokredit zur Mikrofinanz

Von Thomas Veser

Wirtschaft

Mit zusätzlichen Finanzdienstleistungen und Versicherungsprodukten wird das international tätige Aga Khan Development Network (AKDN) sein bisheriges Kleinkreditvergabesystem in Zukunft beträchtlich erweitern. Aktiv ist AKDN vor allem in Ländern mit schiitischem Bevölkerungsanteil in Asien und Afrika.


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Wie der Aga Khan, spirituelles Oberhaupt der schiitischen Ismaeliten-Gemeinschaft, diese Woche bei einer Pressekonferenz im Genfer Palais des Nations weiter erläuterte, bündelt das gemeinnützig ausgerichtete Netzwerk sämtliche Mikrokredit-Aktivitäten unter dem Dach der neu gegründeten Aga Khan Agency for Microfinance (AKAM). Es ist gegenwärtig in 20 Ländern, vor allem in Asien und Afrika, tätig. Kleinkredite werden bereits in Pakistan und Afghanistan angeboten, neu in das Programm aufgenommen wurde im vorigen Jahr Tadschikistan, das mit Abstand ärmste zentralasiatische Land, in dem die meisten Entwicklungshilfeprojekte von den Aga-Khan-Agenturen finanziert werden.

Künftig werden demnach Mikro-Versicherungen, Immobilienkredite, Sparkonten sowie Kleindarlehen für Bildung und Gesundheit angeboten. Auch eine geographische Ausweitung dieses Angebots sei vorgesehen, fügte der Aga Khan hinzu: Von den fünf Ländern, die hinzugenommen werden sollen, beteiligt sich mit Portugal erstmals ein europäisches Land an dem Vergabesystem.

Inzwischen konnte das nicht gewinnorientierte Netzwerk, das der Aga Khan mit Einkünften aus seinen weltweit tätigen Industrieunternehmen finanziert, auch die Weltbank für sein Anliegen gewinnen. Wie der scheidende Weltbankpräsident Jim Wolfensohn bei der Pressekonferenz betonte, "hat die Mikrofinanz bewiesen, dass sie ein schlagkräftiges Instrument ist, sie spielt eine Schlüsselrolle bei der Armutsverminderung und ist ein entscheidender Faktor bei der Umsetzung der Milleniumsziele".

Unterstützung von Weltbank und EU

Als Hauptgrund für die Unterstützung der AKAM nannte Wolfensohn die über 60jährige Erfahrung der Initiatoren auf dem Gebiet der Kleinkreditvergabe in den verschiedensten Ländern und Kulturen und die dort mittlerweile messbaren Erfolge. Diese seien darauf zurückzuführen, dass die "Angebote fortwährend an die sich ändernden Bedürfnisse der Empfänger angepasst wurden." In den vergangenen Jahrzehnten hatte sich das weder ethnisch noch konfessionell ausgerichtete Netzwerk vor allem auf periphäre Regionen - Berggegenden und Meeresküstenabschnitte - ausgerichtet. Zu den bisher umfangreichsten Projekten zählt der 2004 begonnene Aufbau einer zentralasiatischen Universität (UCA) mit drei Standorten in Kirgistan, Tadschikistan und Kasachstan.

Die Entwicklungen auf dem Gebiet der Kreditvergabe lasse das Fernziel, die Zahl der Kleinkreditempfänger allmählich auf zwei Milliarden Menschen zu erhöhen, realistisch erscheinen, fügte Jim Wolfensohn hinzu. Zu den Partnern des Aga Khan zählen neben mehreren nationalen Entwicklungsagenturen auch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Europäische Union.

In einem Jahr 25.000

Kleinkredite bewilligt

Im vergangenen Jahr verfügte das vornehmlich auf den Gebieten Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Kultur tätige Netzwerk über eine Einlage von 30 Mio. US-Dollar, wobei 20 Mio. US-Dollar nach Angaben des zuständigen Mikrofinanzverantwortlichen Jacques Toureille Eigenmittel waren. In diesem Zeitraum waren 25.000 Anträge auf Kleinkredite bewilligt worden. Die 2004 erzielten Sparkonteneinlagen bezifferte Toureille auf umgerechnet 11 Mio. US-Dollar, die von 20.000 Sparern angesammelt wurden. Im Vergleich zu 2003 sei das eine einhundertprozentige Steigerung, in diesem Jahr strebe man eine Verdoppelung an. Das beweise, dass "auch die Armen im Kreditvergabewesen einen festen Platz behaupten und zunehmend kreditwürdig werden", kommentierte der Aga Khan diese Entwicklung.

Kredite für Bildung, Gesundheit, Renovierung

Wie die meisten übrigen Kleinkreditagenturen verlangt auch AKAM recht happige Zinsen, die Jacques Toureille freilich mit den verhältnismäßig hohen Personalausgaben für die Verwaltung der Programme begründet. Für das gemeinnützige Netwerk stehe indessen nicht die Rentabiltät im Mikrofinanzgeschäft im Vordergrund, sondern die "Qualität der neuen Dienstleistungen und Finanzprodukte", betonte Toureille. Mikroversicherungen etwa verhindern, dass die Angehörigen nach dem Tod des Familienoberhaupts auf einen Schlag mittellos dastehen. Wie wichtig solche Absicherungen seien, habe sich nach der südostasiatischen Flutkatastrophe erneut gezeigt. Wenn jahrlang mühevoll erworbenes Hab und Gut von einem Tag auf den anderen vernichtet werde, müssten die Menschen ein zweites, vielleicht ein drittes Mal ganz von vorne anfangen.

Kleine Bildungskredite ermöglichen begabten Kindern eine Ausbildung oder ein Studium, das sich die Familie sonst nicht hätte leisten können. Und über Gesundheitsdarlehen erhielten die zuvor Ausgeschlossenen Zugang zu Leistungen des Gesundheitssektors.

Besonders am Herzen liegt dem Aga Khan die von der Bevölkerung selbst bewältigte Sanierung von Wohnquartieren in historischen Städten; für Kleinunternehmen und Zusammenschlüsse von Bewohnern, die diese Aufgaben gemeinsam anpacken wollen, solle der Zugang zum nötigen Geld vereinfacht werden, bekräftige er. Als Beispiel nannte er das im alten Kairo liegende Viertel Darb al-Ahmar: Dort hatte man die Bewohner, die ihre Häuser renovieren wollten, mit Kleindarlehen unterstützt, auch an lokale Handwerksbetriebe, die dort vor allem Kunsthandwerk, Möbel und Keramikkacheln herstellen, richtet sich das Angebot. Mit diesen Mikrofinanzprogramme, so schloss der Aga Khan, verbinde man die Hoffnung, "dass die Ärmsten, das heisst die Hälfte der Weltbevölkerung, aus dem wirtschaftlichen Ausschluss heraustreten und eine ausreichende Autonomie erwerben kann, um jenen beiszustehen, die noch stärker benachteiligt sind.

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Wachsender Kleinkreditmarkt

Der Begriff Mikrokredit ist eng verbunden mit dem Namen des Ökonomieprofessors Muhammad Yunus, der in den 1970er Jahren im südasiatischen Bangladesch erstmals kleine Darlehen an gewerbetreibende Arme vergab. Die von ihm 1983 gegründete Grameen-Bank galt lange als leuchtendes Vorbild für die Kleinkreditvergabe, die sich rasch ausbreitete.

Üblicherweise vergab die Bank Darlehen an Gruppen, gab diese Praxis jedoch auf, als eine mangelhafte Rückzahlungsquote 2002 fast den Zusammenbruch der Grameen-Bank verursacht hatten. Jetzt erhalten nur Einzelpersonen Kleinkredite. Heute gehen Experten davon aus, dass sich das Kleinkreditvolumen zwischen 25 und 50 Mrd. US-Dollar bewegt. Diese grobe Schätzung beruht auf der Zahl von weltweit rund 500 Mio. Kleinunternehmern mit einem jährlichen Kreditbedarf von 500 bis 1.000 US-Dollar. tv.

Mehr Information unter:

http://www.akdn.org und

http://www.microcridit2005.org