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Vom Missmut in der Warteschlange

Von Eva Stanzl

Wissen

Wahr ist jedoch: Die Resilienz baut sich auf, die Erfolgschancen werden erhöht, Geduld bringt Rosen.


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Normalerweise hat Warten ein Ziel. Selbst in der Warteschleife harren wir etwas: Weihnachten, Urlaub, Besuch, den Mitarbeiter, die Handwerker, einen Termin beim Arzt, ein Paket oder den Bus. Die Geduld wird mit Geschenken, einem Aufenthalt im Süden, der Behebung eines Gebrechens oder der Bestätigung belohnt, dass man dem Telekom-Konzern nicht gänzlich egal ist. Was aber passiert, wenn das Ziel des Wartens zunehmend weniger greifbar wird und in immer weitere Ferne rückt?

Lockdown bis 18. Jänner und Freitesten. Nein, doch nicht Freitesten, sondern Reintesten, aber erst ab 25. Jänner. Oder doch nein, der Lockdown muss bis 8. Februar verlängert werden. Mittlerweile rechnet kaum jemand mehr mit Öffnungen an diesem Stichtag. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen sinkt kaum, obwohl wir das Gefühl haben, den Gürtel immer enger zu schnallen, und die Disziplin sackt ab. Der australische Thinktank Lowy Institute reiht Österreich beim Corona-Krisenmanagement von 98 Ländern nur auf Platz 48 gemessen an der Zahl der Todesopfer und der Neuansteckungen, die davon anhängen, wie gut die Maßnahmen eingehalten werden.

Dabei können Menschen unglaubliche Disziplin aufbringen, um ein Ziel zu erreichen. Spitzensportler trainieren ein halbes Leben, um an Wettkämpfen teilzunehmen, Ballerinas, um anmutig auf großen Bühnen zu trippeln. Mütter stecken jahrelang eigene Bedürfnisse zum Wohl ihrer Kinder zurück. Selbstverständlich können Gesellschaften Pandemien bekämpfen, indem sie vorübergehend auf individuelle Freiheiten verzichten und dadurch einem unsichtbaren Feind wie dem Virus keine Angriffsfläche bieten. Aber sie müssen den Sinn ihrer Handlungen kennen.

"Disziplin, Verzicht, Ordnung und Unterordnung sind Leistungen, die ein Belohnungssystem benötigen", sagt Peter Stippl, Präsident des Bundesverbands für Psychotherapie. Genüsse und Ablenkungen, wie essen gehen, persönliche Gespräche mit Freunden abzuhalten oder in der Disco zu tanzen und zu flirten, sind jedoch aus gesundheitlichen Gründen ebenso untersagt wie Gesellschaftssport oder Wellness. Ritueller Aggressionsabbau in Fußballstadien und Fitnesscentern pausiert genau so wie Live-Kulturerlebnisse. "Stattdessen wird uns mehr Disziplin und Geduld auf hohem Niveau abverlangt, während die Botschaften zu den Gründen dafür oszillieren", erkläutert Stippl.

Warten schult den Charakter

Zuerst gewöhnliche Masken und ein Abstand von einem Meter. Jetzt FFP2-Masken und ein Abstand von zwei Metern. Am Anfang der Kennwert R1, wonach die Pandemie dann unter Kontrolle wäre, wenn jede Person nur eine, nicht zwei oder drei mit Covid-19 ansteckt. Jetzt als Zielgröße eine Inzidenz von wöchentlich 50 Neuansteckungen pro 100.000 Personen. Am Freitag lag diese 7-Tage-Inzidenz hierzulande bei 108. Da die Lieferung von Impfdosen nach Österreich stockt, bleiben persönliche Pläne also wohl weiterhin in der Warteschleife.

Dennoch ist die Fähigkeit, warten zu können, ein ganz wichtiger Charakterzug, der die Resilienz aufbaut und stärkt und die Erfolgschancen erhöht. Das zeigt eine Studienreihe namens "Marshmallow-Experiment". Der US-Psychologe Walter Mischel und sein Team boten Buben und Mädchen im Alter von einem halben bis fünf Jahren diese Süßigkeit an und stellten sie vor zwei Möglichkeiten: Entweder sie verzehrten sie auf der Stelle, oder sie warteten eine Viertelstunde, um dann zwei zu bekommen.

Ein Viertel der kleinen Probanden schnabulierte die Marshmallow sofort. Von jenen Kindern, die das Angebot annahmen, hielt ein Drittel die Wartezeit bis zum Ende durch. Die Langzeit-Beobachtung zeigte, dass jene Kinder, die es geschafft hatten, der Versuchung zu widerstehen, im Durchschnitt bessere Schulnoten bekamen, höhere Bildungsabschlüsse erlangten, sich sozial geschickter verhielten und Stress besser ertrugen.

Warten zu können ist möglicherweise ein Erfolgsfaktor. Allerdings benötigt man dafür Selbstkontrolle und eine fein abgestufte Zeitwahrnehmung, die sich erst ab drei Jahren ausprägt. Sehr kleine Kinder konzentrieren sich daher eher auf die verführerischen Eigenschaften des Objekts der Begierde. Fünfjährige beginnen, zu verstehen, dass Sofortbefriedigung weniger bringt, und entwickeln Strategien, um sich abzulenken und zurückzuhalten. In der Pubertät reift die Willenskraft.

Dennoch liegen Personen wie Nelson Mandela, der im Widerstand gegen die Apartheid viele Jahre im Gefängnis ertragen musste, bevor er 1994 bis 1999 der erste schwarze Präsident Südafrikas wurde, im Bereich des Einzigartigen. Selbst die meisten Erwachsenen haben Mühe, sich zu gedulden. Wie unangenehm die Wartezeit ist, hängt davon ab, als wie lange wir sie empfinden. Eine der seltenen Gelegenheiten, das Grabtuch von Turin zu sehen, war im März 2013 im Turiner Dom. Die Warteschlange verlief durch den gesamten Park hinter der Kathedrale. Doch sie bewegte sich, was das begehrte Ausstellungsstück in greifbarer Nähe erscheinen ließ.

Lockdown und Langeweile

Wenn man sich amüsiert, fliegt die Zeit. Ein Abend mit Freunden vergeht subjektiv schneller als ein Verkehrsstau. Ein Grund ist dafür die Langeweile. "Wenn etwa Kinder die Tage bis Weihnachten zählen, passiert viel nebenher: Sie gehen in die Schule, treffen Freunde, machen Hausaufgaben, erleben Alltagserfolge", sagt Ruth Ogden, Experimentalpsychologin an der Universität Liverpool. "Im Lockdown haben wir das alles nicht. Wir warten, bis er vorbei ist, können aber nicht allen anderen normalen Aktivitäten nachgehen, um uns von der Tatsache abzulenken, dass er noch immer läuft."

Was also tun, wenn Online-Yoga, Zoom-Treffen, Netflix-Serien und Kochrezepte nicht mehr neu sind? Experten empfehlen Routinen, wie täglich zur gleichen Zeit aufzustehen oder das Haus jeden Tag zu verlassen. "Ohne Struktur verlängert sich nicht nur der empfundene Zeitablauf, sondern es verlieren sich Zweck und Sinnhaftigkeit. Das Ergebnis sind Angespanntheit, Depression und Unwohlsein", sagt Odgen.

Die Auswirkungen sind zum Teil dramatisch. Paul Plenar, Leiter der Station für Jugendpsychiatrie am Wiener AKH, berichtet von immer mehr Kindern und Jugendlichen mit Ess- und Schlafstörungen oder Depressionen. "Von den Jugendlichen hören wir von Suizid-Gedanken und Suizid-Versuchen in der jüngeren Vergangenheit", sagte er kürzlich im Sender Ö1.

Neue pandemische Stürme

Ob die Corona-Krise 2020 auch die Selbstmordrate unter Erwachsenen erhöht hat, ist auf der Homepage der Statistik Austria noch nicht verzeichnet. Das Dilemma der Welt ist aber fast perfekt. Denn allmählich wird klarer, dass die neuen Sars-CoV-2-Mutationen wie der Kern eines Taifuns zu immer neuen pandemischen Wirbelstürmen führen könnten. Wenn wir den Lockdown immer weiter verlängern, fahren alle Systeme irgendwann gegen die Wand, und wenn wir es nicht tun, dann auch.

Geduld bringt Rosen. Selbst wenn die Belohnung nur sprichwörtlich ist, ist sie zu sehen. "Natürlich kann es einen Punkt geben, an dem die Pandemie nicht mehr beherrschbar ist. Das ist ein Ausnahmezustand, den es bei uns unter allen Umständen zu vermeiden gilt", betont der Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner. Ohne funktionierende Wirtschaft kein teures Gesundheitssystem, ohne dieses keine Wirtschaft wie unsere.

Zugleich beschränken das Grundrecht auf Leben und andere Grundrechte sich gegenseitig. "Unantastbar ist die unveräußerliche Menschenwürde, die als Integral des Grundrechts auf Leben und des Schutzes von Leben, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit, des Grundrechtes auf Freiheit und Selbstbestimmung sowie der Gleichheit aller Menschen zu verstehen ist", betont Körtner: Auch wenn das Ziel, vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen, richtig sei, könne nicht die Vermeidung jeglicher Todesfälle das oberste Gebot sein.

Es wird somit weiterhin darum gehen, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, dass immer genügend Kapazitäten in den Spitälern zur Versorgung aller Patienten verbleiben. Damit die Menschheit aber ausreichend Geduld bis zum Ende der Pandemie aufbringt, müssen die Ziele für neue Maßnahmen endlich absolut transparent vermittelt werden, sodass wir nicht nur das Gefühl haben, in der Warteschleife zu hängen, sondern auch, dass wir tatsächlich drankommen.