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Vom Misstrauen über Aggression zu Gewalt?

Von Walter Hämmerle

Reflexionen

Was Vertrauensverlust mit uns zu machen droht.


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Wenn Menschen heute zum Arzt gehen, dann ist das Erste, was sie im Anschluss tun, zu googeln, ob der Arzt auch wirklich recht hat. "Wenn wir von Vertrauensverlust sprechen, betrifft das nicht nur Politik oder Medien, das geht viel tiefer", sagt der bulgarische Politologe Ivan Krastev. Im Kern gehe es darum, dass immer mehr Bürger sich für so einzigartig halten, dass sie niemandem zutrauen, für sie zu sprechen oder sie zu repräsentieren, außer eben sie selbst.

Spätestens hier rückt bei der Podiumsdiskussion "Rebuild Trust in Politics" von Politischer Akademie und Konrad Adenauer Stiftung am Dienstagabend in Wien die Politik in den Fokus, denn in unseren repräsentativen Systemen ist es die Aufgabe der Politik, die Menschen zu repräsentieren und für sie zu sprechen.

Vertrauen hat viele Aspekte

"Vertrauen ist die Grundlage für Legitimität", ist die Wiener Politologin Sylvia Kritzinger überzeugt. Sie betont die Notwendigkeit, Vertrauen nicht zu eng zu verstehen: Umfragen würden zeigen, dass Parteien und Medien zwar sehr wohl regelmäßig das größte Misstrauen entgegenschlägt, die Bürger aber durchaus anderen zentralen Institutionen wie Justiz und Polizei, Parlament und Regierung vertrauen. Und in Österreich, so Kritzinger, sind die Vertrauenswerte in Politik und Regierung in den letzten Jahren nicht nur nicht gesunken, sondern sogar gestiegen, was auch mit dem Eintritt der FPÖ in die Regierung zu tun gehabt habe. Ob sich die Folgen des Ibiza-Videos nun in höherem Misstrauen niederschlagen, könne jedoch erst mit neuen Daten festgestellt werden.

Die Klassen existieren

Für Thibault Muzergues, Programmdirektor beim Thinktank "International Republican Institute" in Bratislava, kommt bei der Debatte um den Vertrauensverlust die Frage nach der ökonomischen Dimension zu kurz. "Man muss kein Marxist sein, um zu erkennen, dass hier auch Klassenfragen eine Rolle spielen." Max Webers Diktum, wonach Parteien immer auch die ökonomischen Interessen ihrer Klientel widerspielgelten, habe nichts von seiner Gültigkeit verloren. Für Muzergues ist es ein Mythos, dass "die entgegengesetzten Klasseninteressen aus der heutigen Politik verschwunden sind". Das Problem sei vielmehr, dass die politischen Parteien diese Dimension aus den Augen verloren hätten, und das ungeachtet der Folgen der Finanzkrise ab 2008 und dann später, als die Migrationskrise ab 2015 die sozialen und wirtschaftlichen Gräben noch einmal deutlich machte. Hier liege, davon ist Muzergues überzeugt, eine zentrale Ursache für den Vertrauensverlust vieler Menschen in die politischen Institutionen.

Ein anderer Faktor, der beiträgt, Vertrauen in die Politik zu untergraben, ist die zunehmende Aggressivität, mit der die Parteien Wahlkampagnen bestreiten; die Konkurrenz wird hier vom Mitbewerber zum Gegner, dem nur das Schlechteste unterstellt wird. Das macht die Politik zum zunehmend unattraktiven Betätigungsfeld für normale Bürger, was wiederum zu einer negativen Auslese bei Politikern führt.

Kritzinger sieht die Lage nicht ganz so negativ; empirische Studien belegen, dass die Bürger trotz wachsenden Negative Campaignings ihre Wahlentscheidung nach wie vor überwiegend auf Grundlage der inhaltlichen Positionen der Parteien zu für sie wichtigen Sachthemen treffen. Ein Problem sieht Kritzinger allerdings darin, dass Parteien und Regierungen, etwa aufgrund internationaler oder europäischer Verpflichtungen, den konkreten Erwartungshaltungen ihrer Wähler zuwiderhandeln.

Gewalt bleibt möglich

Muzergues warnt davor, sich darauf zu verlassen, dass diese Spannungen dauerhaft in friedlichen Bahnen verlaufen werden. Die vergangenen Jahrzehnte mit ihrem ausgeprägten Konsens waren, historisch betrachtet, die Ausnahme; die Regel bestand in regelmäßigen gewaltsamen Entladungen und Bürgerkriegen. Für ihn geht es nun darum zu akzeptieren, dass wir eine völlig neue historische Konstellation erleben, deren Offenheit auch Angst erzeuge. Umso wichtiger werde es sein, extreme soziale oder ökonomische Entwicklungen zu bändigen und zu entschärfen, und das gelte für Migration gleichermaßen wie für Ungleichheit.