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Vom Nazi-Flüchtling zum Staatsfeind der USA

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Die schillernde Story des "King of oil" und Glencore-Gründers Marc Rich.


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Meggen. Es ist eine unglaubliche Lebensgeschichte. Als Marcell David Reich am 18. Dezember 1934 im belgischen Antwerpen geboren wurde, deutete wenig darauf hin, dass er der mächtigste Ölhändler des 20. Jahrhunderts werden sollte. Nichts ließ erkennen, dass er ein Milliarden-Vermögen anhäufen sollte. Und schon gar nicht gab es Anzeichen, dass ihn das FBI 17 Jahre lang als Staatsfeind der USA jagen würde.

Dabei war der kleine Marcell schon am Beginn seines Lebens auf der Flucht - vor den Nazis. Der Sohn deutschsprachiger Juden konnte 1940 gerade noch vor dem Einmarsch der Deutschen fliehen. Ein Jahr später landete die Familie in den USA - ohne Geld, ohne Sprachkenntnisse. Mit 19 Jahren heuerte Marc Rich, wie er sich nun nannte, beim Rohstoffhändler Philipp Brothers in Manhattan an, für den er weltweit etliche Länderbüros eröffnete.

1974 gründete Rich mit vier jungen Kollegen im schweizerischen Zug seine eigene Handelsfirma - die Basis seines Imperiums und zugleich Vorläufer des heutigen Giganten Glencore. Rich revolutionierte den Ölmarkt, den bis dato das Kartell der großen Multis beherrscht hatte, indem er den Förderstaaten die Vertriebsstrukturen bot, um selbst in den lukrativen Handel einzusteigen. Ganz nebenbei wurde dabei der Spotmarkt, der Ölhandel zu tagesaktuellen Börsepreisen, "miterfunden". Die Fama lautet, der "King of oil" habe zu seinen besten Zeiten täglich mehr Erdöl verkauft als Kuwait förderte. Die Basis für Reichtum und Ruf hatte Rich allerdings mit höchst umstrittenen Geschäften gelegt. Er bot sich als Vermittler für Öl an, das über eine geheime Pipeline zwischen Iran und Israel floss.

Geschäftsmodell Diskretion

Zunächst war der Schah von Persien, Reza Pahlevi, sein Handelspartner. Wann immer wichtige Verkehrswege blockiert wurden, konnte Rich sein Öl zu unschlagbaren Preisen anbieten - etwa als der Suez-Kanal nach dem Yom-Kippur-Krieg geschlossen wurde. Offiziell existierten freilich keine Geschäftskontakte zwischen Israel und Iran - Rich verschleierte die Herkunft des Öls über Umwege wie Spanien und Rumänien.

Sogar nach dem Regimewechsel blieb er im Iran im Geschäft - nun umging er für Revolutionsführer Ayatollah Khomeini Embargos und Sanktionen. Ob Marxisten in Angola, das Apartheid-Regime in Südafrika, Franco in Spanien oder die Sandinisten in Nicaragua - Rich war skrupellos genug, um mit allen ins Geschäft zu kommen. Als er trotz des US-Embargos mit dem Iran Geschäfte machte, klagte ihn der ehrgeizige Staatsanwalt Rudy Giuliani, der spätere New Yorker Bürgermeister, 1983 wegen "Handels mit dem Feind" an und verfolgte ihn als "größten Steuerbetrüger in der Geschichte der USA". Er landete auf der FBI-Liste der meistgesuchten Personen, wurde 17 Jahre lang gejagt - ein Versuch von Undercover-Agenten, ihn aus der Schweiz zu entführen, scheiterte.

1993 verkaufte er die Marc Rich & Co AG um 600 Millionen Dollar ans Management - daraus ging Glencore hervor. 2001 wurde Rich von Präsident Bill Clinton begnadigt. Dennoch hat er bis heute keinen Fuß in die USA gesetzt.

Der Vater von drei Töchtern ist zwei Mal geschieden und lebt im schweizerischen Meggen. Nach eigenen Angaben haben seine Stiftungen in den letzten zwanzig Jahren 150 Millionen Dollar vor allem für Leukämie-Forschung gespendet: Seine Tochter Gabrielle hatte 1996 den Kampf gegen die Krankheit verloren.