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Das schwarze T-Shirt mit dem Aufdruck "Spirit of 1683", das die rechtsradikalen Identitären auf ihrer ShoppingWebsite feilbieten, ist längst ausverkauft. Beim hier beschworenen "Spirit of 1683" geht es selbstredend um die Zweite Wiener Türkenbelagerung, die am 12. September nach der Sprengung des Belagerungsrings und der Schlacht am Kahlenberg endete.
Die Türkei hat in Österreich bei den Rechtsaußen (und nicht nur bei diesen) bis heute - wenn es um die Beschwörung des Untergangs des Abendlandes geht - eine Fixposition für die tragende Rolle des Bösewichts. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist aber auch abseits absurder historischer Rückgriffe 333 Jahre in die Vergangenheit nicht ungetrübt. Erst recht nicht, seit der österreichische Bundeskanzler Christian Kern nach dem Putschversuch vom 15. Juli vor einigen Tagen Klarheit in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU eingemahnt hat. Der Chefberater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat Kern daraufhin via Twitter ausgerichtet: "Verpiss dich, Ungläubiger!"
Erdogans Chefberater wird enttäuscht sein: Kern präzisierte am Montag seine Position in einem APA-Interview: Die EU-Kooperation mit der Türkei in der Wirtschafts-, Sicherheits- und Migrationspolitik soll "von Realitätssinn getragen sein".
Die Beitrittsverhandlungen abzubrechen, wie Wien das fordert, ist wohl auch die derzeit einzig mögliche Antwort auf die Mutation der Türkei zu Erdoganistan. An der Fiktion von Beitrittsverhandlungen festzuhalten, führe laut Kern "zu gar nichts, außer dass uns die Leute fragen, ob wir noch ernst zu nehmen sind, ob wir das Eintreten für Demokratie, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit überhaupt noch ernst nehmen".
Gleichzeitig gilt: Derartige Fiktionen leisten einen Beitrag zur Stabilität: Die Zwei-Staaten-
Lösung für Israel und Palästina ist derzeit eine solche Fiktion. Oder der Minsk-Friedensprozess in der Ukraine, wo im Osten des Landes jeden Tag geschossen wird - dennoch halten Moskau und Kiew am Minsker Abkommen fest. Fiktionen können Hoffnung geben.
Österreich wird also gut beraten sein, der türkischen Bevölkerung zu signalisieren, dass man ein Partner einer demokratischen, pro-europäischen Türkei ist und dies nicht im Widerspruch zu einer Ablehnung eines EU-Beitritts des derzeit real existierenden Erdoganistans steht.