Wirtschaftsexperten: Scheidende Regierung hinterlässt solides Budget. Die Bestandsaufnahme soll die Richtung vorgeben.
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Wien. Einen "Überblick verschaffen, wo wir gemeinsam budgetär hinwollen", sagte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am Montag knapp. Dem Vernehmen nach war es vor allem der ÖVP-Koalitionspartner in spe, der den "Kassasturz" zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen forderte. Nichts Ungewöhnliches, schließlich ist anzunehmen, dass vor allem die langjährige Oppositionspartei FPÖ bei Regierungseintritt Einblick in die Situation im Staatshaushalt erhalten möchte. Ganz bewusst habe man dafür am Montag Experten aus dem Finanzministerium beigezogen, sagte vergangene Woche ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Nach gut drei Stunden gingen die Verhandler am Montag wieder auseinander, bis Freitag soll die Bestandsaufnahme fertiggestellt sein. Sehr zufrieden aber zeigten sich die Verhandler dem Vernehmen nach nicht. Es gebe zwar "keine Löcher", aber man "mache immer noch Schulden", sagte etwa der FPÖ-Vizeparteichef Norbert Hofer.
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Aber was ist vom Kassasturz zu erwarten? Und wie sieht es budgetär tatsächlich aus?
Der Wirtschaftswissenschafter der Arbeiterkammer Wien, Markus Marterbauer, erwartet keine Überraschungen beim Kassasturz. Marterbauer meint, dass die alte Regierung grundsätzlich einen guten Staatshaushalt übergebe. "Wir erfüllen die EU-Fiskalkriterien schon seit einigen Jahren, mit Ausnahme des Jahres 2016, weil uns wenig überraschend die Steuerreform unter Kanzler Werner Faymann davon weggeführt hat, was aber von der EU akzeptiert wurde." Und dieser Trend setze sich laut Prognosen fort. "Zum einen, weil die starken Belastungen, die man seit 2007 durch die Finanzkrise und durch die Kosten der Bankenrettung hatte, langsam wegfallen oder nichts mehr dazu kommt", sagt der Arbeiterkammer-Ökonom. "Zum Zweiten, weil die Wirtschaftsentwicklung gut ist. Die Investitionen sind hoch, die Beschäftigung wächst, die Industrieproduktion steigt kräftig." Und das spiegle sich alles im Budget wider, weil die Einnahmenseite von der Konjunktur abhängig ist.
Konjunktur bringt Spielraum
Große budgetäre Spielräume, die man breit "ausschütten" könne, gebe es aber nicht, sagt Marterbauer. Diese seien nur für Bereiche vorhanden, die sich in die richtige Richtung entwickeln, die aber noch einen Anstoß gebrauchen könnten. Etwa ältere Langzeitarbeitlosen, die die SPÖ bereits in der scheidenden Regierung in den Fokus rückte, Stichwort Aktion 20.0000. "Hier wäre es wert zu investieren, damit man diese Menschen in dieser guten Konjunkturphase in Beschäftigung bringt", sagt Marterbauer.
Und wie steht es um die 14 Milliarden Euro Steuerentlastung, die ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Wahlkampf propagiert hat? "Das sind ganz andere Dimensionen", sagt Materbauer. "Wenn wir von so hohen Beträgen reden, dann sind wir in der Größenordnung von etwa drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Dann würden alle europäischen Vorgaben wieder überschritten werden." Da sei budgetär ohne Gegenfinanzierung nichts möglich. Wenn man die Steuern in diesem Ausmaß senken will, dann sei die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass man in den drei großen Bereichen der Staatsausgaben Einschnitte machen muss, erklärt Marterbauer weiter - also Soziales, Bildung, und Gesundheit. Diese Bereiche machen laut dem Wirtschaftswissenschafter etwa 70 Prozent der gesamten Staatsausgaben aus. Die im Wahlkampf von ÖVP und FPÖ angekündigten restriktiven Maßnahmen gegen die Zuwanderung ins Sozialsystem könnten jedenfalls keine Gegenfinanzierung in diesen Höhen leisten. Das sei eine "völlige Illusion", so Marterbauer. "Da geht’s dort und da vielleicht um ein paar Millionen, aber sicher nicht um Milliarden."
Vernünftig sei der Kassasturz allemal, ergänzt die Budgetexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Margit Schratzenstaller, die auch auf die aktuell in Deutschland laufenden Verhandlungen in Richtung Jamaika-Koalition verweist. "Natürlich aber ist es eine Frage der politischen Zielsetzungen, wie man mit dem Überblick über den budgetären Spielraum umgeht." Die prinzipiell gute Mittelfrist-Prognose des Wifo, die auf eine recht stabile und positive Konjunkturentwicklung schließen lässt, beinhalte jedoch nicht die erst kürzlich noch beschlossenen Neuerungen, wie etwa die Studienplatzfinanzierung und Notstandshilfe. Diese würden das laufende Budget zusätzlich mit immerhin 400 Millionen Euro belasten, sagt die Budgetexpertin.
"Wir werden es richten"
Nach der Verhandlungsrunde am Montag wollten die Beteiligten dann auch nicht ausschließen, ob die kostenintensiveren der jüngst beschlossenen Maßnahmen von der neuen Regierung nicht ehebaldigst wieder zurückgenommen werden. Auch relativiere die Konjunkturentwicklung nicht die Forderung des Wifo nach einer soliden Gegenfinanzierung der geplanten Ausgaben der neuen Regierung, sagt Schratzenstaller.
Für den ehemaligen Leiter des Instituts für Höhere Studien und jetzigen Vorsitzenden des Fiskalrates, Bernhard Felderer, hat der Kassasturz aber vor allem eine politische Dimension. Dieser sei "eine Strategie der neu installierten Regierung", sagt Felderer gegenüber der Online-Plattform "addendum". "Man sagt, es schaut katastrophal aus, aber wir werden es richten." Diese Strategie gebe es auch in der Privatwirtschaft, wenn in einem Konzern ein neuer Vorstand einziehe. Felderer: "Ich würde das nicht zu ernst nehmen."
Was auch immer die Parteichefs von ÖVP und FPÖ am Freitag als Ergebnis des Kassasturzes präsentieren werden - die ersten der 25 Untergruppen der Koalitionsverhandler haben inzwischen ihre Arbeit aufgenommen. Das "bewusste" Hinzuziehen von Experten (und Prominenten), das Kurz gerne als Novum präsentiert, ist freilich so neu nicht. "Natürlich hat man je nach Thema auf Leute, die nicht in unmittelbarer Nähe zur Politik oder zu den Parteien standen, zurückgegriffen", sagt etwa SPÖ-Ex-Kanzler Franz Vranitzky, der zwischen 1987 und 1996 vier Koalitionen mit der ÖVP ausverhandelt hatte. Damals rückte man die Berater und Experten im Gegensatz zu heute jedoch nicht stark ins Licht der Öffentlichkeit - auch, weil viele nicht als Parteigänger gelten wollten. Der Ex-Kanzler setzte dabei vor allem Wirtschaftsexperten oder Steuerrechtler. Zudem sei auch damals dem Finanzministerium eine zentrale Rolle zugekommen, betont Vranitzky. Auch auf ein gutes Einvernehmen mit Kulturschaffenden habe er großen Wert gelegt.
"Wenn man über internationale Forschungsprojekte diskutiert und eine bestimmte politische Marschroute einschlägt, braucht man natürlich die Einschätzung auch von Topwissenschaftern", sagt der Ex-Kanzler.