Die Wandlung Ariel Sharons vom Patron der Siedlerbewegung zu ihrem ärgsten Feind wurde bei einem Geheimtreffen in einem römischen Hotelzimmer besiegelt. Im November 2003 eröffnete der israelische Premier dort Gesandten aus Washington, er wolle den Gaza-Streifen und Teile des Westjordanlandes bis zum Ende 2005 aufgeben.
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Vier Jahrzehnte war Sharon die treibende Kraft hinter den jüdischen Siedlungen auf palästinensischem Land. In dem Hotel in Rom, so sagen seine Berater, wurde er zum ersten israelischen Regierungschef, der eine Frist für die Auflösung von Siedlungen nannte. Und wie so oft in seiner militärischen und politischen Karriere ließ der Exgeneral jeden Widerstand an sich abprallen. Weder der Zorn seiner rechten Likud-Partei noch der teils gewaltsame Widerstand radikaler Juden konnten ihn von seinem "Abkopplungs-Plan" abbringen. Ab Mittwoch werden Soldaten die ersten der 21 Siedlungen im Gaza-Streifen notfalls mit Gewalt auflösen.
Über die Motive Sharons wird viel gerätselt. Ist es strategische Finesse, um sich das Westjordanland weiter einzuverleiben? Ist es schnöder Opportunismus, um Israel und sich selbst aus einer Zwickmühle von Gewalt und Isolation zu befreien? Sollte es etwa der Wunsch nach Frieden mit den Palästinensern sein?
An die Wandlung vom Saulus zum Paulus mag noch niemand wirklich glauben. Die Abstoßung des überbevölkerten Gazastreifens mit seinen 1,3 Millionen Palästinensern sei schlicht die einzige Möglichkeit, Israel als jüdische Demokratie zu erhalten und die Gebiete im Westjordanland zu retten, die für religiöse Juden größere Bedeutung hätten, sagt Sharon. Die Entscheidung sei ihm so schwer gefallen "wie die Teilung des Roten Meeres".
Sein Biograf Usi Bensiman unterstellt dem säkularen Sharon, nie ein ideologisches Verständnis für die Sehnsucht nach dem biblischen Israel gehabt zu haben. Vielmehr habe er die Siedlungsbewegung aus strategischem Kalkül unterstützt.
Arnon Perlman, bis 2004 langjähriger Berater des Ministerpräsidenten, hält seinen früheren Chef dagegen für absolut standfest: "Er hat eine Vision. Der Gaza-Abzug ist Teil eines weit in die Zukunft reichenden Planes", sagt er. Sharon habe niemals geglaubt, einen endgültigen Frieden im Nahen Osten zu erreichen. "Aber er will einige Schritte in diese Richtung machen."
Für Sharon ist der Gaza-Abzug ein gewaltiger Schritt. Seine Karriere als Siedlerpatron begann schon Mitte der 70er Jahre. Damals mischte sich der Regierungsberater unter eine Gruppe radikaler Siedler, die sich in einem Außenposten im Westjordanland ein Handgemenge mit israelischen Soldaten lieferten. Heute leben in Elon Moreh 1.000 Menschen. Als Siedlungsminister legte er wenig später einen Masterplan für zwölf neue Siedlungen vor. Bis 1982 hatte Sharon maßgeblichen Anteil an 38 Siedlungen. Das Ziel: Einen zusammenhängenden palästinensischen Staat verhindern.
Sharon warb für Siedlungen an strategisch bedeutenden Stellen und setzte Steuerbefreiungen und andere Anreize für die Siedler durch. Und er blieb seiner Linie treu, als sich das Meinungsbild in Israel zu wandeln begann. Nachdem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu 1998 das Wye-Abkommen unterzeichnet hatte, in dem die Übergabe von Gebieten des Westjordanlandes vorgesehen war, rief Sharon die Siedler auf: "Klammert euch an die Hügelspitzen."
Doch die Strategie des massiven Siedlungsausbaus führte Israel zunehmend in die Isolation. Sharon saß in der Zwickmühle und erwärmte sich schließlich für zwei Ideen: Erst wurde der Bau des Sperrwalls beschlossen, dann der Gaza-Abzug.
Tatsächlich hat Sharon schon eine Menge Profit aus dem Gaza-Abzug gezogen, bevor die ersten Siedler evakuiert wurden. Das internationale Ansehen des "Bulldozers" sei gut wie nie zuvor. AP