Düringers Liste Gilt will vor allem eines: das repräsentative System konterkarieren. Das zieht dubiose Personen an.
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Wien. Es sei "vielleicht nicht die größte Wahlkampfaktion der 2. Republik, aber garantiert die dreckigste". Grinsend und scherzend stakst Düringer durch den meterhohen Pferdemist, den der Kabarettist und seine Mitstreiter von Gilt vor dem Parlament abladen haben lassen. Die Causa Silberstein kommt ihm gelegen. Genüsslich kostet der Neo-Politiker, der eigentlich keiner sein will, die aktuelle Stimmung im Wahlkampf aus. "Dirty Campaigning, wir greifen das jetzt auf", sagt Düringer, bevor er ein aus Plastik gefertigtes Stück Fäkalien in die Kameras hält. Genau wie das Imitat würden auch die Parteien "nur so tun als ob". Und genau das sei das Problem.
Auch sonst scheint Düringer kein Freund der sprachlich feinen Klinge zu sein. Auf Pressekonferenzen bedient sich der Kabarettist und Schauspieler des Öfteren einer deftigen Fäkalsprache, wenn er über die heimische Politlandschaft spricht. Und er ermutigt auch seine Anhänger, es ihm gleichzutun. Auf der Seite "Politik #zumspeibn" sind diese aufgerufen, ihre Unzufriedenheit mit der Politik kundzutun. "#zumspeiben sind die Zwangsgebühren im Roten Staatsfunk (ORF) für mieses Programm und gefakte News", lautet dann auch eines der Ergebnisse des Gilt-Aufrufs. Seit kurzem ist das "Gilt Game" online, ein Computerspiel, bei dem Punkte erzielt, wer mit Fäkalien blaue Kornblumen, rote Nelken oder das "Geilomobil" des früheren Obmanns der JVP und jetzigen ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz trifft. Das Problem, und daraus machen weder Düringer noch seine Mitstreiter ein Hehl, seien die politischen Parteien und das repräsentative System an sich. Eine "parteifreie Zukunft" ist das erklärte Ziel.
"Totaler Systemwandel"
Dementsprechend sei Gilt auch keine Partei, sondern eine "Partie", wie Düringer nicht müde wird zu betonen. Ursprünglich sei Gilt lediglich ein Satireprojekt gewesen. Dieses erklärte der Kabarettist, frühere "Benzinbruder" und nunmehrige Aussteiger nach Erreichen der für die Kandidatur erfolgreichen Unterschriften für beendet und sich selbst zum "Taxifahrer", der mittels seiner Popularität die neue Liste ins Parlament führen wolle.
Wahlkampfthemen, ein Programm oder gar eine ideologische Basis hat die Gruppierung keine. Darum gehe es auch vordergründig gar nicht, wie Düringer und Hubertus Hofkirchner, der bei Gilt das Konzept der "offenen Demokratie" vorantreibt, bei einer Gilt-Pressekonferenz Mitte August erklärten. Viel mehr stünde die Methode im Vordergrund. Diese sieht in etwa so aus: Anstelle einer Partei und deren Gremien sorgen außerparlamentarische "Bürgerparlamente" in einem mehrstufigen Verfahren für die Auswahl an Themen, Forderungen und Positionen, die die Gilt-Abgeordneten dann, sollte die Gruppe am kommenden Sonntag den Einzug schaffen, "der Regierung vorhalten", wie es ein Sprecher von Gilt ausdrückt. So soll die "ab-gegebene" Stimme, die dem Wähler beim Wahlvorgang quasi entzogen werde, wie Düringer gerne wortklauberisch erklärt, wieder "gültig" werden. Als erstes Thema habe das Bürgerparlament Bildung auserkoren, aktuell steht die zweite Phase bevor, in der die inhaltlichen Forderungen diskutiert und beschlossen werden sollen. Gelingt der Einzug, sollen die Bürgerparlamente künftig mittels der Akademieförderung finanziert werden, sagt der Gilt-Sprecher.
Während die einen in Düringers Idee durchaus einen innovativen Ansatz sehen, begreifen die anderen Gilt als radikalen Angriff auf das ohnehin krisenhafte repräsentative System. Düringer selbst geht noch weiter. Gilt richte sich nicht nur gegen Politiker per se, sondern auch gegen "jene Bürger, die sich jedes Mal wieder einlullen lassen", sagte Düringer in der ORF-Konfrontation der Kleinparteien Mitte August. Das politische System verglich Düringer damals mit einem faulen Zahn, bei dem man, wie auch am Wahltag, eine Entscheidung zu treffen habe: "Nehmen Sie die Schmerzmittel, die Ihnen von den Parteien angeboten werden, oder sagen Sie, ok, Zahn reißen? Und ich bin sehr deutlich für Zahn reißen, nicht für Betäubung." Düringers Mitstreiter Hofkirchner bezeichnet die Parteien pauschal als "strukturell korrupt", Gilt hingegen stehe für einen "totalen Systemwandel".
Dass sich von derartigen Tönen auch Personen zweifelhafter Gesinnung angezogen fühlen, beweist der Fall des per Los intern gewählten Gilt-Kandidaten Günther Lassi. Der esoterisch veranlagte Pensionist aus dem niederösterreichischen Waldviertel hatte auf seiner Homepage - neben anderen esoterischen Schriften - anderem auf die antisemitische Hetzschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" verlinkt. Im Nachhinein distanzierte sich Lassi von antisemitschen Einstellungen und sprach von einer Rufmordkampagne. Er sei ein einfacher Mensch mit wenig politischer Erfahrung. Düringer bezeichnete Lassi als "anständigen Kerl", der keinem faschistischen Gedankengut anhänge. Da die Kandidatenliste nun nicht mehr verändert werden kann, zog Lassi sich "symbolisch" zurück, ein etwaiges Mandat wolle er nicht annehmen, wie man bei Gilt versichert.
Kein Einzelfall
Wie Recherchen der "Wiener Zeitung" zeigen, ist Lassi jedoch kein Einzelfall. Der Tiroler Gilt-Kandidat Attila Ossanna gibt in seinem Kandidatenvideo den alternativen Naturburschen, auf seiner privaten Facebookseite demonstriert er eine Nähe zur Staatsverweigerer-Szene, genauer gesagt zu den Ideen von "Freeman" Joe Kreissl, dessen Facebook-Einträge der Gilt-Kandidat gerne teilt. Im März 2016 unterstütze er via Facebook tatkräftig die Präsidentschaftskandidatin Karin Kolland, die sich selbst als OPPT-Anhängerin bezeichnet. In einem anderen Eintrag zeigt Ossanna deutlich seine Unterstützung für das Putin-Regime in Russland. "Wer lügt, belügt sich selbst!", richtet er den heimischen Medien aus. Zudem wirbt Ossanna für die sogenannte "WeRe"-Bank, mit der sich auch die Bundesstelle für Sektenfragen in ihrem letzten Tätigkeitsbericht beschäftigt.
Keineswegs kann behauptet werden, dass sich vorwiegend Personen mit solch dubiosem Hintergrund auf der Gilt-Liste tummeln - wenn auch augenscheinlich viele von ihnen esoterische Vorlieben haben. Sieht man sich jedoch in den einschlägigen Internetforen von Freemen oder Staatsverweigerern (beispielsweise des "Staatenbund Österreich") um, so wird schnell klar: Gilt findet in der Szene zahlreiche Anhänger. "Es gibt eben sehr viele Personen, die sich von der Politik sehr stark vernachlässigt fühlen", sagt ein Gilt-Sprecher.
Zudem sieht man bei Gilt in Roland Düringers alternativem Lebensstil den Grund, wieso sich Personen aus dem verschwörungstheoretischen Milieu von Gilt angezogen fühlen. Der Projektgründer habe eben "Alternativen aufgezeigt". Bei der Projektgründung und bei der Listenerstellung habe man darauf geachtet, dass derartige Personen nicht zum Zug kommen könnten. Viele habe man wegen ihrer "monothematischen Ausrichtung" ausgeschlossen. Dass Günther Lassi einer rechtsesoterischen Vorstellungswelt anhängt, darauf hatte allerdings das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands bereits 2015 hingewiesen. Gilt sei jedenfalls keine "Partei für Staatsverweigerer". Man wolle in kein Eck gedrängt werden: "Wir bekennen uns zum Staat." Dennoch seien die Gilt-Kandidaten ein "repräsentativer Durchschnitt", man wolle auch keine "Meinungen ausschließen". Düringer selbst war für die "Wiener Zeitung" am Dienstag leider nicht für ein Gespräch über seinen Kandidaten Ossanna erreichbar. Er befinde sich "mitten in den Proben für sein neues Kabarettprogramm".