Als Bundeskanzler versprach er nie politische Wunder. Sein Ausspruch, "es ist alles sehr kompliziert", wirkt wie ein Klassiker, so aktuell ist er für die österreichische Innenpolitik.
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Wahlkämpfe sind die Sandkastenspiele, in denen ein Menschheitsproblem leider nur schlecht verarbeitet wird. Die großzügigen Versprechungen der Politiker fügen sich nahtlos in eine kindliche Erwartungswelt von Bürgern, die eine vollkommene, gerechte und vor allem problemlose Gesellschaftsordnung für möglich halten. Wenn schon nicht explizit, dann im Unterbewussten. Irgendwie steht das ja schon in der christlichen Schöpfungsgeschichte, denn im Paradies gab es weder Inflation noch Migranten. Und der alte Ovid hämmert den Lateinschülern noch heute ein, dass es ein goldenes Zeitalter gegeben habe.
Aus dem utopischen Ansatz heraus, dass die heilste aller Welten einfach installiert werden könnte, am besten "durch den Staat", ist offenbar ein Großteil der Menschen im Extremfall bereit, jedem Rattenfänger nachzulaufen. Das war vor einigen Jahren auch der Grundgedanke des Schriftstellers Robert Schneider in seinem Roman "Kristus", in dem er schon im Vorwort vor Führerfiguren warnt, die "meinen, das Chaos ordnen zu müssen" und für ihre ideale Welt Dogmen aufstellen, die zum Gefängnis der anderen werden.
So schlimm wie Schneider die religiösen Fanatiker des 16. Jahrhunderts darstellt oder wie Hitler und Stalin im 20. Jahrhundert wüteten, ist es gottlob derzeit nicht. Mit nachweisbaren Fortschritten bei der Organisation des Alltags und der Gemeinschaft nehmen aber Raunzigkeit und Frust unerträglich zu.
Alles, was tatsächlich erreicht wurde, wird als so selbstverständlich wie ein Grundeinkommen betrachtet. Wer es hat, wird keinen Gedanken mehr darauf verschwenden. Das gilt für den hochtechnisierten Alltag fast aller Menschen der Industriewelt, für Kranken- und Altersversicherung bis hin zur Tatsache, dass in unseren Breiten bereits die dritte Generation einen Krieg nur aus Berichten über andere Länder kennt.
Das gar nicht mehr zu schätzen, ist die Hybris der Wohlstandsgesellschaft. Ein Mann wie der soeben verstorbene Ex-Bundeskanzler Fred Sinowatz ist ihr gewiss nicht erlegen. Er mühte sich in einem fast ältlich wirkenden sozialdemokratischen Sinn um einen besseren Ausgleich in der Gesellschaft und gestand so ehrlich wie kaum jemand sonst die Grenzen seines Bemühens ein.
Die chaostheoretische Komponente der Gesellschaft ist ein Faktum, dem kein Politiker entkommt. Was sich im Großen abspielt, kann jeder privat erkunden. Es genügt ein Tag Stromausfall im Eigenheim, um bescheiden zu werden. Dass kein warmes Wasser da ist und die Tiefkühlkost auftaut, ist schlimm genug. Aber dass das Handy nach Entladen des Akkus tot ist, wirkt wie ein Doomsday im
21. Jahrhundert. Und bitte: Auch das Internet geht nicht mehr. Unglaublich, was alles passieren kann.
Die Sache mit dem neuen Menschen, der sich eine tolle "New World" schafft, hat Statikfehler. Es kann zum Kurzschluss kommen oder das Erdöl ausgehen. In derartigen "unnatürlichen" Situationen relativiert sich menschliche Tüchtigkeit. Ist im Krisenfall jener der Tüchtige, der zuerst dank Taschenrechner das Kopfrechnen nicht mehr erlernt hat und später dank Navigationsgerät den Orientierungssinn verkümmern ließ, weil das Navi ihn überall hinführt, ohne dass er zu wissen braucht, wo er gerade ist?
Zu viel auf einmal? Pardon. Es war nur ein Versuch zu erklären, dass Staatsbürger, die die Fragilität ihres Besitzstandes und auch ihrer Erwartungen durchschauen und akzeptieren, immun gegen plumpe Wahlversprechen sein müssten.