In Hongkong lebt und arbeitet eine Reihe erfolgreicher Österreicher. Der mit Abstand erfolgreichste unter ihnen ist der Reeder Helmut Sohmen. Der Vorstandsdirektor der "World-Wide-Shipping"-Gruppe, eines der größten Schifffahrtsunternehmen der Welt, kann auf eine steile Karriere zurückblicken.
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Erinnert sich Sohmen an seine Jugend als Sohn eines Kaufmannes in Linz, so kann er außer "einer ganz gewöhnlichen Kindheit samt Ausbildung in öffentlichen Schulen und einem Jus-Studium an der Universität Wien" nichts entdecken, was ihn für seine steile Karriere prädestiniert hätte. Und doch war da seine Neigung zu einem weltoffenen Leben, zur Bereitschaft, über den "Tellerrand" hinauszuschauen und Neues zu entdecken.
"Erste Liebe" USA
"Mein älterer Bruder, ein Nationalökonom, ging als erster nach Amerika und wurde Universitätsprofessor in Massachusetts. Er hat sich sehr bemüht, dass auch ich amerikanische Pfade betrete", erzählt Sohmen. Schon während des Studiums in Wien startete er eine weitere akademische Laufbahn in den USA, um gleich nach der Promotion in Wien den "Master of Comparative Law" und den "Master of Laws" in Dallas bzw. Chicago zu erwerben - und zu bleiben: "Die USA kamen meinen Lebensvorstellungen viel näher als die kleinstädtische Atmosphäre in meiner Heimat." In Chicago hat er auch seine spätere Frau Anna Po kennengelernt, die dort Soziologie und Kinderpsychologie studierte.
Nach dem Studium wurde Sohmen Rechtsberater der Royal Bank of Canada in Montreal. Dass der "mitteleuropäische Binnenländer", der bis auf "Schinakel fahren am Neusiedler See" keinerlei Beziehung zur Seefahrt hatte, zum Top-Reeder avancierte, war familiärer Hartnäckigkeit zu verdanken: "Mein Schwiegervater, ein aufstrebender Geschäftsmann und Reeder in Hongkong, besuchte uns immer öfter in Montreal", erinnert sich Sohmen - unter dem Vorwand, "sein erstes Enkelkind, unsere Tochter Cheryl, zu sehen". Dahinter stand aber, "uns den Erfolg seines Unternehmens vorzuführen und mir die asiatische Sitte nahe zu bringen, dass alle Familienmitglieder im eigenen Unternehmen statt für Fremde arbeiten: Wir sollten endlich nach Hongkong kommen". Kein leichter Entschluss: "Uns hat es in Kanada sehr gut gefallen. Im größten Bankhaus mit vielen internationalen Kontakten hatte ich eine gute Karriere vor mir, und meine Frau hat nach ihrem Studium engagiert an der Uni unterrichtet."
Hartnäckiger Schwiegervater
Das Drängen des Schwiegervaters wurde heftiger, der Entschluss folgte: "Meine Frau hat gleich gesagt, ,Wenn du mit der Schifffahrt anfängst, wird sie dich nie wieder loslassen!' Und sie hat Recht gehabt", lacht Sohmen.
Der "Sprung ins kalte Wasser", nach Hongkong, kam 1970: "Ich musste mich schnell einleben. Es war für meine Schwiegerfamilie nicht leicht, einen Fremden zu akzeptieren - und dann auch nicht für ältere Kollegen, die plötzlich einen jungen Mann, der aus der Familienzugehörigkeit heraus Anspruch hatte, als Vorgesetzten zu akzeptieren", erinnert er sich an schwierige Jahre. Turbulent ging es weiter: Neue Niederlassungen auf den Bermudas und in London führten zwischen 1974 und 1982 zu neuerlichen Übersiedelungen, aber auch zu neuen internationalen Geschäftsbeziehungen. Zurück in Hongkong ging es erst so richtig los: "Nach der Ölkrise in den 70ern gab es eine große Depression auf Markt. Nur in Hongkong herrschte zu meiner Verwunderung große Euphorie."
Zunächst gegen den Willen des Schwiegervaters setzte Sohmen einen massiven Abbau durch: "Innerhalb von fünf Jahren haben wir etwa 150 Schiffe verkauft - und dadurch überlebt. Viele unserer Konkurrenten sind damals untergegangen. Am Ende der Krise waren wir kapitalkräftiger als zuvor." 1986 entschloss sich der Schwiegervater mit 68 Jahren, den Chefsessel zu räumen. Das Schifffahrtsimperium legte er in die Hände seines österreichischen Schwiegersohnes. Für Sohmen folgten Funktionen als Präsident der Hongkonger Reedervereinigung sowie der internationalen Schifffahrtsorganisation "Baltic International Maritime Council" in Kopenhagen. 1989 wurde er zum Präsidenten der Handelskammer Hongkong gewählt, mit 2.600 Mitgliedern die älteste und größte Interessensvertretung in der britischen Kolonie. 1997 beteiligte sich die Familie an der "Dragonair", einer jungen chinesischen Fluglinie. Die fast unvermeidliche Folge: Sohmen wurde Generaldirektor und arbeitete sich ein weiteres Mal in ein neues Arbeitsgebiet ein.
Kosmopolitisches Multitalent
Bis heute ist Sohmen Vorsitzender der World-Wide-Shipping Gruppe, mit 10 Millionen Tonnage eine der größten Tanker-Reedereien der Welt. Wegen ihrer Größe aber auch wegen ihrer Industriefracht wie Schwefel, Kohle, Eisenerz, Öl ankern seine Tanker mittlerweile nicht mehr vor Hongkong: "Sie sind für das seichte Gewässer zum einen zu groß und zum anderen gibt es keine Schwerindustrie in Hongkong". Dafür fahren die Riesen hauptsächlich vom mittleren in den fernen Osten und "nehmen europäische Destinationen mit". "Track shipping" heißt das: "Dort, wo eine entsprechende Ladung aufzunehmen ist, wird sie geladen und an ihren Zielpunkt weiterbefördert", erklärt Sohmen.
Zum Geschäft gehört heute auch das Chartern von Schiffen und Besatzung für spezielle Aufträge von anderen Handelshäusern. "Es ist ein sehr kapitalintensives Geschäft mit einem hohem Grad an spezialisierter Erfahrung", sagt Sohmen. Globale Verantwortung ist ihm dabei ebenso ein Anliegen: "Wir tun alles dafür, dass es nicht zum Worst case, zu einem Unfall, kommt. Wenn es doch einmal passiert, müssen wir gerüstet sein": Seit Oktober 2001 ist Sohmen auch Vorsitzender der "International Tanker Owners Pollution Federation" in London.
Die kosmopolitische Lebenseinstellung ist für Sohmen ein Erfolgsrezept. Nicht zuletzt deshalb fördert er Universitäten in Hongkong und im chinesischen Ningbo, der Heimat der Schwiegereltern, ebenso, wie zwei Stiftungen in Österreich, die sich dem österreichisch-chinesischen Austausch wie auch österreichischen AbsolventInnen widmen. Sohmen lebt Weltoffenheit vor - und gibt sie privat weiter: Tochter Cheryl ist Kanadierin, der ältere Sohn Andreas Österreicher, "Nesthäkchen" Philipp Brite.