Der Irak-Krieg wurde in nur wenigen Wochen gewonnen und endete doch im Desaster - das bis heute nachwirkt.
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"Zu dieser Stunde befinden sich amerikanische und verbündete Streitkräfte in der Anfangsphase der militärischen Operationen zur Entwaffnung des Irak, um seine Bevölkerung zu befreien und die Welt vor einer ernsten Gefahr zu schützen." Das waren die Worte der nur vier Minuten - von 22.16 bis 22.20 Uhr Ortszeit - dauernden Rede von George W. Bush am 19. März 2003.
In Bagdad war es der 20. März, kurz nach halb sechs, als die Sirenen zu heulen begannen. In der irakischen Hauptstadt waren Explosionen zu hören, Flugabwehrgeschütze feuerten in die Dämmerung. Der Krieg hatte begonnen. Was Vater George Bush mit dem Golfkrieg im Jahr 1991 (nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait) begonnen hatte, wollte der Sohn George W. Bush vollenden: den Irak als Machtfaktor in der Golfregion zu neutralisieren.
Heute besteht freilich Konsens darüber, dass der Krieg ein schwerer Fehler war. Die USA hatten einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg - gegen den erbitterten Widerstand von engen Verbündeten und ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats - vom Zaun gebrochen und damit ihre Reputation als globale Ordnungsmacht ramponiert. Aus dem schnellen Sieg im Blitzkrieg wurde nach und nach eine schwere Niederlage. Die angeblich überall im Land versteckten Massenvernichtungswaffen, von denen der damalige Außenminister Colin Powell dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erzählt hatte, wurden nie gefunden.
Das US-Militär war auch nicht darauf vorbereitet, ein Land mit damals 30 Millionen Menschen zu verwalten. Mit der Auflösung der irakischen Armee hat L. Paul Bremer, der zweite amerikanische Prokonsul, ein Personalreservoir für Guerillagruppen geschaffen, die dann - kommandiert von den Überresten von Saddams Baath-Partei und der Terrororganisation al-Kaida - einen Kleinkrieg gegen die US-Besatzer führten.
Die Bilanz: 275.000 bis 306.000 Zivilisten verloren zwischen 2003 und 2023 ihr Leben. 4.400 US-Soldaten wurden im Irak getötet und 32.000 verwundet. Der Folter-Skandal von Abu Ghraib und die Gewalt, die im Irak von US-Soldaten, CIA-Agenten und Blackwater-Söldnern ausging, beschädigten das Bild der USA in der Welt nachhaltig. Die Kriegskosten wurden von der US-Regierung vor der Invasion mit weniger als 200 Milliarden Dollar beziffert, letztlich sollte dieser Krieg aber rund 2 Billionen Dollar verschlingen.
Eine Welle von Terror und Gewalt
Die USA hatten den Irak zwar von Diktator Saddam Hussein befreit, aber die Infrastruktur des Landes war zerstört und das Land fand sich im Strudel eines blutigen Bürgerkriegs wieder. Im August 2003 begann eine Dschihadisten-Kampagne gegen internationale Hilfsorganisationen und die US-Besatzer, die bald von blutigen ethno-religiösen Konflikten zwischen Schiiten und Sunniten überlagert wurde. Der Konflikt ebbte erst 2007 etwas ab. Nach dem Abzug der US-Truppen im Oktober 2011 schwappte eine weitere Welle der Gewalt über das Land zwischen Euphrat und Tigris. Die Terrororganisation Islamischer Staat brachte in einer 2014 begonnenen grausamen Offensive rund ein Drittel des Landes unter die Herrschaft des Kalifat-Staats. Der Dschihad im Irak war zu einem Flächenbrand metastasiert, der inzwischen auch Syrien erfasst hatte. Im Irak war der Spuk erst im Jahr 2017 nach einer umfangreichen Militäroperation gegen den Islamischen Staat vorbei.
Und dennoch: Das Ende der Saddam-Herrschaft hatte dem Irak nach Jahrzehnten von Krieg und Sanktionen wieder eine Zukunftsperspektive gegeben. Im Jahr 2003 lag die irakische Wirtschaftsleistung bei rund 22 Milliarden Dollar - bis zum Jahr 2021 hatte sich dieser Wert fast verzehnfacht und stieg auf rund 208 Milliarden Dollar. Die Ölproduktion stieg von rund 1,5 Millionen Barrel vor dem Krieg auf fast 4,5 Millionen Barrel im Dezember 2022. Die Alphabetisierungsrate hat sich von 74 Prozent im Jahr 2000 auf 86 Prozent im Jahr 2017 verbessert, die Lebenserwartung ist von 67 Jahren (2001) auf 72 Jahre gestiegen. Zu Zeiten Saddam Husseins hatten nur einige wenige Menschen ein Mobiltelefon, im Jahr 2021 hatten 86 Prozent der Bevölkerung einen Mobilfunkvertrag. Die größte Bedrohung für den Staat ist heute die alles durchdringende Korruption: Seit 2003 sollen über 200 Milliarden Dollar aus der Staatskasse verschwunden sein.
Und trotz der allgegenwärtigen Gewalt, der politischen Wirren und Korruption hat der Irak seit 2005 sechs aufeinander folgende Parlamentswahlen abgehalten. Die kurdischen Provinzen des Irak (die Kurden machen rund 20 Prozent der 42 Millionen Irakerinnen und Iraker aus) genießen ein hohes Maß an Autonomie. Die Kurden haben auch nicht vergessen, dass sie von Saddams Soldaten sowohl am Ende des iranisch-irakischen Krieges in den 1980er Jahren als auch im ersten Golfkrieg 1991 Kurden massakriert wurden.
Und die Schiiten, die - obwohl im Irak in der Mehrheit - zu Saddams Zeiten politisch marginalisiert waren, stellen heute den Premierminister. Mit der Emanzipation der Schiiten stärkte Washington freilich die Achse Bagdad-Teheran - eine unbeabsichtigte Folge des Sturzes von Saddam Hussein. Gleichzeitig gelang es den Irakern aber, dem iranischen Einfluss Grenzen zu setzen.
Schwächung des Völkerrechts
Der Irak-Krieg hat Amerikas aber auch Relevanz für Russlands Krieg gegen die Ukraine. Der russische Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede vom 24. Februar 2022, die er zu Beginn des russischen Angriffskriegs gehalten hat, die US-Invasion im Irak erwähnt und Washington Heuchelei vorgeworfen. Damals sah Putin, dass der amerikanische Bruch des Völkerrechts keine Konsequenzen hat und dass die "regelbasierte internationale Ordnung", auf die sich die Vereinigten Staaten sonst gerne berufen, für die USA selbst nicht zu gelten scheint. George W. Bush hat mit seinem Krieg die Autorität und das Ansehen der USA vor 20 Jahren nachhaltig geschwächt. Der Fehler von damals wirkt bis heute nach.