Wer aus bildungsfernen Familien kommt, hat einen schweren Start.
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Wien. 15 Jahre alt, schlechte Zeugnisse, Sonderschüler mit Pflichtschulabschluss, im Ausland geboren: So sieht die schwierige Ausgangslage vieler Jugendlicher aus bildungsfernen Familien aus. Wien unterstützt sie nun verstärkt bei der Lehrstellensuche über Jugendarbeitsassistenz: Ein Jahr lang begleiten Berater Jugendliche mit Beeinträchtigung - damit sind meistens Lernschwächen gemeint - beim Übergang von der Schule zum Beruf.
In den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt betreuen vier Berater von Wien Work laufend 60 Schüler aus Kooperativen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen in Einzelgesprächen. "Zwei Drittel der Jugendlichen, die ich betreue, haben Migrationshintergrund", erzählt Renate Stanek. Schüler mit Leistungsschwächen werden meist schon in der Volksschule identifiziert und danach in der Hauptschule nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet und als Sonder- oder Integrationsschüler bezeichnet.
Die Eltern wüssten oft nicht, was der Sonderstatus für ihre Kinder bedeutet, erzählt Stanek. Sie betreute einen Schüler irakischer Herkunft dessen Eltern zufrieden waren, dass ihr Kind überhaupt zur Schule geht. Dass er Sonderschüler war, haben sie nicht verstanden. In den meisten Fällen bleibe der Sonderstatus weiterbestehen und bestimmte die ganze Karriere. "Nur wenn sich Eltern engagiert darum kümmern, wird etwas verändert", sagt die Beraterin. Einmal veranlasste eine Mutter neue Tests für ihre Tochter, und prompt wurde deren Integrationsstatus aufgehoben.
Integrationsklassen gibt es nicht in jeder Schule, sie werden je nach Bedarf zusammengestellt. Meistens sitzen in einer Klasse mit 25 Schülern bis zu fünf Integrationsschüler. In den Fächern, in denen sie Leistungsschwächen gezeigt haben, werden sie separat unterrichtet.
"Wir suchen maßgeschneiderte Lösungen", erzählt Hemma Hollergschwandtner, Leiterin des Teams Jobmanagement bei Wien Work. Finanziert wird das Angebot von Wien Work vom Bundessozialamt, für die Jugendlichen ist es freiwillig und kostenlos. Oft kann ein Lehrabschluss vor Arbeitslosigkeit schützen: Anfang 2012 waren 32.700 Personen mit Pflichtschulabschluss arbeitslos gemeldet, bei einer abgeschlossenen Lehre waren es nur 18.300.
Es sei freilich eine Herausforderung, die Jugendliche in Betrieben einzugliedern, berichtet Renate Stanek. "Ein 15-Jähriger mit türkischen Wurzeln war ein sehr guter Schüler, aber er stotterte", erzählt sie. Nach der Bewerbung wurde er fast immer zum Vorstellungsgespräch geladen, die Absagen kamen nach dem persönlichen Gespräch. Zur Behebung seiner Redestörung schaltete Stanek eine Logopädin ein, prompt bestand er die Aufnahmetests für die Lehre als Elektro- und Energietechniker.
"Viele Jugendliche haben keine Vorbilder zu Hause. Oft haben ihre Eltern kein Interesse oder realitätsferne Vorstellungen", sagt der Berater Michael Scheikl. "Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe." Dem studierten Psychologen geht es vor allem um Kenntnisse, die für Job und Leben entscheidend sind, wie selbständig sein, Termine einhalten, Verantwortung übernehmen. Man müsse auch lernen, mit Absagen umzugehen. "Viele ziehen sich zurück, wollen nicht darüber sprechen. Manche denken, nach zwei Bewerbungen das Notwendige für die Lehrstellensuche getan zu haben, und rechnen nur mit positiven Antworten", sagt Scheikl. Auch würden Jugendliche mit ausländischen Wurzeln ihre Mehrsprachigkeit nicht wahrnehmen, dabei sei die ein Mehrwert für Unternehmen, etwa im Einzelhandel. Dennoch finden manche Schüler eine Lehrstelle, kürzlich etwa ein Schüler mit Aufmerksamkeitsdefizit und Lernschwierigkeiten in Deutsch, der nun eine Tischlerlehre macht.
Die duale Ausbildung ist für andere Staaten ein Vorbild
In Wien gibt es 19.000 Lehrlinge. Lehrstellen stehen allen Pflichtschulabsolventen offen, mehr als 200 Lehrberufe werden angeboten. Die Jugendlichen werden in einem Betrieb ausgebildet und besuchen gleichzeitig eine Berufsschule. Dieses duale Ausbildungssystem gilt europaweit als erfolgreiches Instrument im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit.
Sonderschüler, die keine reguläre Lehrstelle finden, können eine integrative Berufsausbildung machen, also eine auf vier Jahre verlängerte Lehre oder eine unvollständige Ausbildung. Wien Work ist der größte Anbieter für integrative Lehre in Wien. 160 Jugendliche werden hier ausgebildet, viele haben Migrationshintergrund. Andere EU-Staaten zeigen bereits Interesse für die duale Ausbildung. Unlängst besuchte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso Wien, um die duale Ausbildung kennenzulernen.
Der Arbeitsmarktservice fördert Unternehmen, die eine integrative Ausbildung für Jugendliche anbieten. Bis zu drei Jahre lang erhalten diese monatlich 400 Euro pro Lehrling.