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Vom Spa zum Arbeiterviertel

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

"Das ist kein Grundwasser und kein Rohrbruch. Das ist ganz sicher eine Quelle", weist Pfarrer Thomas Gärtner auf eine zwei Meter breite, trübe Wasserpfütze in seinem Keller.


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"Jungbrunnen" heißt ein 450 Jahre altes Bild von Lucas Cranach d.Ä. in der Berliner Gemäldegalerie. Auf der linken Seite werden alte Frauen in Wagen und auf Tragen gebracht. Mit faltiger gelblicher Haut, grauem Haar und hängendem Busen steigen sie nackt in ein rechteckiges Badebecken. Rechts entsteigen sie als junge schöne Frauen mit strahlend weißer Haut und goldblondem Haar.

Der alte Menschheitstraum von der ewigen Jugend mag auch Pate gestanden sein, als man nordöstlich von Berlin im Jahre 1701 eine mineral- und vor allem eisenhaltige Quelle entdeckte. Der Chemiker Andreas Marggraf untersuchte das Quellwasser und stellte dessen Heilkraft fest. Der Hofapotheker Heinrich Wilhelm Behm war von der heilenden und jugenderhaltenden Wirkung der Quelle so überzeugt, dass er sich um das königliche Privileg bemühte, eine Heil- und Badeanstalt einzurichten, die ihm vom "Alten Fritz" denn auch gewährt wurde. Vor genau 250 Jahren begann er mit dem Bau des "Friedrichs-Gesundbrunnens", der bald dem ganzen Ortsteil seinen Namen gab.

Der moderne Berlin-Reisende mag ernüchtert sein, wenn er sich vom Namen "Gesundbrunnen" inspirieren lässt. Wo sich einst ein Kurort mit ausgedehnten Gartenanlagen, Bade- und Trinkhäusern und mondänen Gebäuden befand, wo sich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die Badstraße zum Boulevard mit Volksgärten, Restaurationsbetrieben und Unterhaltungsetablissements gemausert hatte, findet er heute nur noch die Reste eines dicht und chaotisch bebauten Industrie- und Arbeiterviertels. Hier entstanden mit der industriellen Revolution die finstersten Mietskasernen, hier gab es die rotesten Gegenden Berlins. Die Quelle des Gesundbrunnens, von den Berlinern "Plumpe" genannt, wurde bei Kanalarbeiten versehentlich zugeschüttet.

Die Folgen dieser Entwicklung für die Natur beschrieb die Chansonniere Claire Waldoff in einem Couplet über das einst idyllische Flüsschen Panke so: "Und steh am Ufer ick der Panke, möcht jleich ick wieder Leine ziehn: Bei dem Jestanke. Na ick danke. Ne ,dufte Stadt ist mein Berlin!"

Zwar wurden viele Siedlungen inzwischen entkernt und saniert, doch erinnert nach wie vor nichts an den früheren Glanz. Von den Industriebauten sind die berühmte AEG-Montagehalle des Peter Behrens, das neugotische Backsteintor zum ehemaligen AEG-Gelände, die Swinemünder Brücke (Millionenbrücke) und der Gleimtunnel erhalten.

Inzwischen sprießt wieder neues Leben aus den Ruinen. So zog beispielsweise in die 1887-1905 entstandene AEG-Maschinenfabrik das erste deutsche Innovations- und Gründerzentrum ein, dem sich 1985 der Technologie- und Innovationspark anschloss. Kennzeichnend ist hier die unmittelbare räumliche Nähe von über 90 Unternehmen zu den 14 Forschungsinstituten der Technischen Universität, der Fraunhofer Gesellschaft und darüber hinaus zur Humboldt-Universität, insbesondere der Charité.

Seit vor sieben Jahren der West-Bezirk Wedding mit den beiden Ost-Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg fusioniert und gleichzeitig "Gesundbrunnen" als neuer Ortsteil vom ehemaligen Wedding abgetrennt wurde, bilden sich mehrere Initiativen, die das schlecht beleumundete Quartier städtebaulich aufwerten und mit neuem Leben füllen wollen.

Da ist es wie ein wunderbares Symbol, dass die vor hundert Jahren verschüttete Quelle nun im Keller von Pfarrer Thomas Gärtner wieder sprudelt. Vielleicht wird aus dem Gesundbrunnen ein Jungbrunnen.