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Die Wiener Psychoanalytische Akademie tagt zu Traumforschung und Traumdeutung. Was wissen wir über Träume? | Sicher scheint, dass sie zur Lösung emotionaler Probleme beitragen, sagt Kongressorganisator Fritz Lackinger.
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"Wiener Zeitung": "Der Traum ist ein flüchtiges Objekt. Nachdem er im schlafenden Bewusstsein präsent geworden ist, entzieht er sich schon wieder nach dem Erwachen", stellen Sie im Programm zu Ihrer heutigen Tagung in Wien klar: Der im Wachzustand erinnerte Traum sei nicht derselbe wie der im Schlaf erlebte. Warum ist dem so?Fritz Lackinger: Während des Träumens erleben wir den Traum als äußere Wirklichkeit und nach dem Erwachen als innere Realität. Das hängt mit der Funktionsweise des Gehirns während des Träumens zusammen. Computerscans haben gezeigt, dass Träumen jene Teile des Gehirns anregt, die mit Assoziationen und sinnlicher Vorstellung in Verbindung stehen, und zwar mindestens so stark wie im Wachzustand. Jedoch hat man in Traum keinen Zugang zu Motorik und Außenwahrnehmung. Auch das logische, intentionale, kritische, realitätsbezogene Denken ist auf nahezu null heruntergefahren. Deswegen können wir nicht erkennen, dass die Bilder nicht realistisch sind, sondern glauben, wir stünden mittendrin.
Warum wir unsere Träume vergessen, ist weniger leicht erklärt. Experimente zeigen, dass die Annahme von Sigmund Freud, wonach im Traum Dinge durchkommen, an die wie uns gar nicht erinnern wollen, eine gewisse Rolle spielt. Zudem träumt man jede Nacht fünf bis sechs Mal, drei bis vier Träume werden also praktisch immer vergessen werden. Von Natur her scheinen Träume nicht zur Abspeicherung im Langzeitgedächtnis geschaffen zu sein, sondern eine vorübergehende Funktion in der Organisation der Psyche einzunehmen.
Aber Träume sind manchmal so schön, dass man sich gerne an sie erinnern würde.
Die Erinnerung muss nicht primär damit zusammenhängen, was der Traum an der Oberfläche zeigt. Selbst etwas Schönes kann uns an etwas Trauriges erinnern. So kann ein Mensch, den wir im Traum lieben, in Wirklichkeit verstorben sein. Der Traum, ihm wieder zu begegnen, ist zwar wunderschön, doch im Wachbewusstsein wäre uns klar, dass wir ihn verloren haben, woran wir ungern denken.
Ist ein Traum eine Art Reinigung durch Verarbeitung?
Die Theorie, dass das Gedächtnis durchgeblättert wird und der Mist noch einmal aufblitzt, bevor er quasi ausgesondert wird, ließ sich nicht erhärten. Eher scheint es so zu sein, dass Träume Gefühle bearbeiten - einerseits vom Vortag, andererseits von verdrängten Aspekten im Inneren. Aus der Traumpsychologie wissen wir, dass Träume zur Lösung emotionaler Probleme beitragen. Insbesondere traumatische und emotional belastende Ereignisse tauchen häufig auf. Der Schlaf bringt die Verarbeitung solch emotionaler Inhalte nur dann voran, wenn genügend REM-Phasen auftreten, in der die meisten Träume stattfinden.
In einer laufenden Therapie spiegeln Träume nicht nur emotionale Themen, sondern auch deren Bearbeitung. Der Traum versucht, wie in einer Simulation eine Geschichte zu konstruieren, in die das Erlebte passt. Diese narrative Umgebung ist sehr variantenreich.
Wie darf man sich die emotionale Verarbeitung im Schlaf vorstellen?
Wenn ein Mensch etwa einen Autounfall erlebt, tauchen unmittelbar danach Träume auf, die das Ereignis nachbilden und oft sehr ähnlich sind zur wirklichen Situation. Normalerweise bringt schon der nächste Traum eine leichte Variation: Wenn ein Kind also irrtümlich in einen Raum eingesperrt wird und einen Tag und eine Nacht dort bleiben muss, könnte im ersten Traum nach seiner Befreiung der Raum so aussehen wie der echte. Der zweite Traum beinhaltet vielleicht andere Räume, doch das Gefühl des Eingesperrtseins bleibt. Danach könnte das Kind träumen, es sei im Feuer eingeschlossen, danach von Räumen ohne Eltern. Es ist, als würde der Traum Verzweiflung, Not, Panik und Angst in verschiedenen Geschichten durcharbeiten. Ein erfolgreicher Therapieprozess ist es, wenn das Trauma in zahlreiche emotionale Kontexte eingebunden wird, und genau dabei können die Träume helfen.
Könnte man sich psychisch gesundträumen?
Wenn sich dieselben Bilder im Traum wiederholen, wie eine hängen gebliebene Schallplatte, liegt eine Traumatisierung vor. In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder schaffen es die gesunden seelischen Anteile, die abgekapselten "Traumabrocken" langsam wieder in die Prozesse der psychischen Verabreitung zurückzuholen: In diesem Sinne kann man sich sehr wohl "gesundträumen". Wenn das Trauma aber resistent gegen das natürliche "Verträumen" von schlimmen Erlebnissen bleibt, oder jemand einen verdrängten Komplex aus der Kindheit hat und eine neurotische Entwicklung durchmacht, ist das Träumen als "Gesundheitselixier" nicht ausreichend. In der Psychoanalyse versuchen wir, die unbewussten Komplexe sich re-inszenieren zu lassen, sodass die Patienten ihnen in irgendeiner Form Ausdruck verleihen. Auch im Traum kommen die alten Komplexe und Traumata wieder hoch - wobei die Traumarbeit dafür zu sorgen versucht, dass die Angst nicht allzu groß wird.
Warum träumen manche Leute mehr, manche weniger? Haben Vielträumer bestimmte Veranlagungen, sind sie etwa stark visuell?Vermutlich träumen "Vielträumer" nicht mehr als andere, sie erinnern sich nur an mehr Träume. Es ist vermutlich nicht die visuelle Veranlagung, denn man kann auch stärker akustisch träumen. Etwa sind bei Blinden die Traumbilder weniger differenziert als Traum-Gerüche, -Dialoge und -Gefühle. Für das Erinnern von Träumen muss man aber das gefühlsbetonte Denken verfügbar haben. Extrem sachlich und logisch veranlagte Menschen tun sich da schwerer. Aber auch bei Angst und verdrängten Traumatisierungen ist die Abwehr stärker. Bis heute gibt es keine gesicherte Gesamtauffassung darüber, wovon das Erinnern der Träume abhängt.
Wie verlässlich sind Traum-Lexika in der Deutung?
Freud war der Meinung, dass der Großteil der Träume individuell zu deuten sei über Assoziationen, die in die private Lebensgeschichte zurückführen - immerhin erweckt ein Hut bei den meisten Menschen unterschiedliche Gedankenverbindungen. Es gibt jedoch bestimmte Symbole, die quer durch alle Träumer ziemlich einheitliche Bedeutungen haben, als hätten wir ein kleines, angeborenes Symbollexikon im Gehirn. Jung sah sogar Archetypen von Wahrnehmungen und Beziehungsstrukturen in Mythen, Religionen und Träumen unabhängig von der Kultur. Doch bei Traumlexika bin ich skeptisch, denn wenn es nach ihnen geht, sind das alles feststehende Symboliken. Doch wenn alles individuell ist und kompliziert im Detail, warum sollte es gerade im Traum schematisch sein? Ich denke nicht, dass man das einfach nachblättern kann.
Hatte Freud recht mit seiner Traumdeutung?
Freuds Theorien stimmen, aber heute würde man es zum Teil in einem größeren Kontext sehen. Die Freud’schen Träume sind im Wesentlichen Träume von Neurotikern mit reifen psychischen Strukturen. Träume von Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen funktionieren etwas anders und benötigen zum Teil auch andere Strategien in der therapeutischen Bearbeitung.