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Vom Tsunami mitgerissen

Von Alexandra Grass

Wissen
Der Weg ins neue Leben ist meist sehr holprig.
© © Marko Cerovac - Fotolia

Psychoonkologen leiten Krebskranke über die Brücke in ein neues Leben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Sie bricht herein wie ein Tsunami, unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse und verändert das Leben auf massivste Weise. Eine Krebserkrankung stellt sowohl das Leben der Patienten selbst als auch das des sozialen Umfelds auf den Kopf. Mit der Konfrontation der Diagnose beginnt sich das Rad unweigerlich zu drehen: Untersuchungen, Therapien, eine veränderte Rolle im familiären Umfeld, Angst, Erschöpfung, Verunsicherung und reduzierte Einsatzmöglichkeit am Arbeitsplatz stellen eine relevante Beeinträchtigung der Lebensqualität dar.

Die Psychoonkologie versucht daher, die Betroffenen mit klaren Strukturen aus dieser gefühlten Sackgasse zu führen, ihnen die im Augenblick bestmögliche Lebensqualität aufzutun, ihnen zu gesundheitsfördernden Maßnahmen zu verhelfen und die Reintegration in den beruflichen Alltag zu ermöglichen. Denn "seelische und soziale Faktoren, wie etwa psychiatrische Vorerkrankungen, Alter, Anämie (Blutarmut), Bildung und Einkommen, entscheiden über das Überleben von Krebspatienten", betont Alexander Gaiger, Psychoonkologe und Hämatologe an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Stille brauchen mehr Hilfe

Daher sei es wichtig, in der Diagnostik Risikogruppen zu definieren, um vor allem jenen eine psychologische Betreuung zur Verfügung stellen zu können, die sie tatsächlich benötigen. Zumeist sind es eher "die stillen oder schweigenden Patienten", die mehr Betreuung brauchen, erklärt Gaiger. Auch ist aus Studien bekannt, dass gerade Menschen in Armut eine kürzere Überlebenszeit haben als Menschen aus bürgerlichen Familien. Daher darf die psychologische Betreuung keiner Beliebigkeit unterworfen werden, sondern muss, wie es etwa in der Notaufnahme üblich ist, klaren Regeln folgen und nicht nur jenen zuteil werden, die am lautesten schreien. Menschen mit höherer Bildung organisieren sich ohnehin zumeist selbst.

Wichtig sei auch die Betreuung durch eine einzelne Bezugsperson, denn "Menschen in Krisensituationen wollen nicht von einem Team von zehn Leuten betreut werden", so Gaiger. Immerhin sind bei 20 bis 24 Prozent der Krebskranken posttraumatische Belastungsreaktionen wie Angstzustände, Depressionen, Schwitzen oder Herzrasen zu erkennen, die oft nicht thematisiert werden, jedoch eine relevante Beeinträchtigung der Lebensqualität darstellen.

Zu beobachten sind auch klare Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Während Männer ihre Erkrankung oft still erdulden, artikulieren Frauen ihre Ängste viel mehr und besser, können mobilisieren, gründen Selbsthilfegruppen und nehmen mehr psychosoziale Hilfe in Anspruch, betont Gaiger.

Selbst wenn ein Krebspatient medizinisch für gesund erklärt wird, bedeutet das nicht, dass er in sein altes Leben zurückkehrt. Es folgt eine Zeit der Erschöpfung, jede Kontrolluntersuchung wird zur Belastung und bringt Ängste hervor, fortlaufende Medikamententherapien bedeuten eine tägliche Auseinandersetzung mit der Erkrankung. "Ich muss mit der Krankheit leben und zu einem anderen Leben zurückfinden", erklärt der Psychoonkologe.

Die am 1. und 2. Dezember stattfindende erste Jahrestagung der Österreichischen Akademie für onkologische Rehabilitation und Psychoonkologie (ÖARP) widmet sich dem Thema "Vom Überleben zum Leben". Immerhin erkranken in Österreich jährlich rund 36.000 Menschen neu an Krebs. Ziele der ÖARP sind die Etablierung evidenzbasierter Diagnose und Therapierichtlinien der onkologischen Rehabilitation und Psychoonkologie.

Einen wichtigen Beitrag leistet neuerdings auch die Pensionsversicherungsanstalt, die es Krebspatienten ermöglicht, in den onkologischen Rehabilitationszentren in Althofen in Kärnten und Bad Sauerbrunn im Burgenland mit spezialisierter Hilfe in den sozialen und beruflichen Alltag zurückzufinden.

Stiefkind der Onkologie

Der Begriff Psychoonkologie ist seit Mitte der 80er Jahre in Europa verbreitet. Die Disziplin führt heute allerdings noch immer das Dasein eines Stiefkindes in der Betreuung von Krebspatienten. Nach der Definition von Jimmie Holland, US-amerikanische Ärztin und Begründerin der Psychoonkologie, ist dies eine hoch spezialisierte Subdisziplin der Onkologie, die durch das Zusammenwirken von Ärzten, Pflegekräften, Psychotherapeuten, Psychologen und Sozialarbeitern geprägt ist. Benötigt wird dazu eine spezielle Zusatzausbildung und lange Erfahrung in einem onkologischen Schwerpunktspital.