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Las Vegas, die Touristen- und Glücksspieler- Hochburg im US-Bundesstaat Nevada, erfindet sich immer wieder neu. Eine Tour durch Vergangenheit und Gegenwart.
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Wer heute den Strip entlanggeht, der fragt sich, wie wohl die alten Herrscher dieses weltweit bekannten und dereinst berüchtigten Vergnügungsviertels auf die heutigen Gäste reagieren würden: massenhaft kichernde, maskenhaft geschminkte Girlies in glitzernder Unterwäsche ohne etwas darüber, auf turmhohen Highheels dahinwackelnd. Vorbei an den Ruinen der Treasure Island-Piratenschiffe (dort werden bald statt Seeschlachten neue Shopping-Malls Geld versenken) und den altbekannten Hotelmonstern "Venetian" oder "Circus, Circus". Und sie kichern auch im neuen, stylischen (und ordentlich teuren) Hotel "Cosmopolitan" oder im goldglänzenden "Wynn".
Halbwelt-Helden
Sie zuzeln aus turmhohen Plastikbottles ihre hochprozentigen Mixgetränke, um den Belämmerungsspiegel nicht plötzlich rasant sinken lassen zu müssen, egal zu welcher Tageszeit, auch am Morgen. Burschen fallen hier wenig bis gar nicht auf, sie scheinen in der Minderheit zu sein und sind meist schlecht/lässig gekleidet. Sich herausputzen und Blöße zeigen tun nur Mädels. Ist auch besser so, Ausnahmen wie den oberkörpernackten Muskelmann mit tief sitzender Jean und halbblankem Hintern im Lift um sechs Uhr früh muss man erst verdaut haben.
Sie würden sich wohl im Grab umdrehen, die Gangster und Halbwelt-Helden, die sich dieses Grab oft "ehrlich" verdient hatten, war doch Style Pflicht. Man schoss nicht ohne Hut und starb stets im eleganten Dreiteiler.
Lucky Luciano und Konsorten waren allerdings nicht die Gründer von Las Vegas, sondern nur der Grund für den Beinamen "Sin City", den sich die Stadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erwarb. Die ersten Siedler waren - ausgerechnet - die frommen Mormonen. Und der Grund war das frische Grün der Wiesen ("Las Vegas" = Die Wiesen), die sich da inmitten der Wüste zeigten: also Wasser. Ebenfalls absurd, wenn man bedenkt, dass heute jeder von der Stadt Geld kassieren kann, wenn er seinen Rasen in einen Schotter-Kakteengarten umwandelt und auf bewässerungsfreudiges Gras verzichtet.
Ein weiterer Grund war eine Eisenbahnstrecke, die San Pedro und Los Angeles verband und das frischgrüne Las Vegas zum Mittelpunkt der Zugreise machte. Die Schienenstrecke ging allerdings 1917 Pleite. Auch der 1929 gebaute Highway half nicht viel, die Arbeitssuchenden waren schon weitergezogen. Damit meinte man, Las Vegas sei gestorben.
Stadt unter Strom
Doch Wasser war auch die Ursache für die Wiederbelebung und den neuerlichen Siedlungsboom: nämlich der Hoover Dam, ein Wunderbauwerk, vor allem für die damalige Zeit, das Strom im Überfluss erzeugen konnte. Diskriminierung war zu dieser Zeit selbstverständlich, chinesische Arbeiter wurden überhaupt nicht aufgenommen, nur ganz wenige Schwarze durften den Weißen die Arbeit wegnehmen, und natürlich nur weit unter dem normalen Tarif, für die miesesten Arbeiten und abgeschottet: Selbst die Ärmsten der Armen wollten mit diesen "Untermenschen" jede Berührung vermeiden, auch die Wasserkübel wurden daher streng getrennt ausgegeben.
Sieben Jahre Bauzeit waren veranschlagt, nach fünf Jahren war er fertig! Er wurde von Roosevelt als "Boulder Dam" eröffnet, obwohl - eigentlich weil - sein Vorgänger und Intimfeind Edgar Hoover, selbst Ingenieur, diese gerade während der Depression wichtige, arbeitsbeschaffende Riesenbaustelle initiiert hatte. Nicht einmal der Name des Erzfeindes wurde in der Eröffnungsansprache erwähnt. "Hoover Dam" wird er erst seit 1947 genannt, Roosevelt war da bereits zwei Jahre tot.
Doch wohin mit dem vielen Strom? Im damals möglichen Einzugsgebiet von etwa 130 Kilometern - weiter schaffte man den Elektrizitätstransport noch nicht - gab es eben Las Vegas, das durch die vielen Arbeitssuchenden, die hoffnungsfroh zur Riesenbaustelle strömten, bald auf 20.000 Einwohner angewachsen war. Bereits 1931 war die erste Casino-Lizenz erteilt worden, und als 1937 der Strom Las Vegas rund um die Fremont Street (heute Downtown Las Vegas) erstrahlen ließ, war damit die Spieler- und Neon-Hauptstadt der Welt eröffnet.
Mafia-Legenden
Das Las Vegas, wie wir es heute kennen, mit seinen Bettenburgen und Themenhotels, steht übrigens außerhalb der Stadt; der "Strip" wurde erfunden, um sich die Stadt-Steuern zu sparen. Und zwar von der listigen Mafia, die schon in Florida und Kuba mit solchen Projekten erfolgreich war: Bugsy Siegel und Meyer Lansky, zwei berüchtigte Mitglieder der Lucky-Luciano-Gang, errichteten das "Flamingo". Das war ein Desaster, verursacht möglicherweise von Bugsy, der es nicht lange überlebte. Wahrscheinlich, weil er zu viel Geld in die eigene Tasche hatte wandern lassen.
Bugsy wurde erschossen im Appartement seiner Freundin Virginia Hill aufgefunden, die gerade "zufällig" in Paris war. Hill war eine erklärte "Mob-Queen" (sie war wahrscheinlich Mafia-Kurier), die sich zwischen den Mafia-Familien emporschlief, geschickt genug war, sich aus gefährlichen Auseinandersetzungen herauszuhalten (siehe Bugsys einsamen Tod), und vor Gericht erklärte, ihr Einkommen erkläre sich aus großzügigen Geschenken von Verehrern - warum die so großzügig gewesen seien, wisse sie nicht. Sie übersiedelte, als ihr der Boden doch zu heiß wurde, mit ihrem Sohn nach Europa und starb 1966, der österreichischen Polizei durchaus bekannt, mit nur 46 Jahren in Koppl bei Salzburg an einer Überdosis Schlaftabletten.

Nachdem die Prohibition nach acht Jahren 1933 wieder zu Ende gegangen war, und damit die Einkünfte aus Schwarzbrennereien und Speakeasys, brachten Casinos die Mafia wieder voll ins Geschäft - und Las Vegas zu Ruhm und Unehre: 1957 gab es bereits acht Casinos auf dem Strip. "Der Mob", wie die italienische US-Mafia genannt wurde, hatte die Spielerstadt fest im Griff, bot den Touristen auch Unterhaltung und verpflichtete - money no object - die berühmtesten Entertainer der Welt. Vor allem Elvis Presley und das Rat Pack (Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis Jr.) gehörten zum Stammpersonal und machten Las Vegas zur Entertainment-Metropole. Das Rat Pack schaffte es übrigens auch, dass die Rassendiskriminierung in den Casinos aufgehoben wurde: Die Stars weigerten sich, in solchen Hotels aufzutreten.
FBI und Atompilze
Als Anfang der 1950er Jahre das Fernsehen erstmals ermöglichte, dass jeder die laufenden Mafia-Prozesse mitverfolgen konnte, wurde den US-Bürgern erstmals klar, welchen Einfluss diese kriminelle Organisation auf ihr Land hatte; dass sie Gewerkschaften, die Unterhaltungsindustrie, Polizei und sogar Politiker beeinflussten und viele Behörden unterwandert hatte. Das FBI wurde zu einer bewunderten Institution, neue Gesetze, wie das für Kronzeugen, wurden erlassen, eigene Komitees zur Verfolgung und Verurteilung des Mobs reisten durch ganz Amerika und führten zur Festnahme vieler Mitglieder der Mafia. Was Las Vegas gut überstand. Ausgerottet ist die Mafia freilich bis heute nicht.
Um sich von diesen Schrecklichkeiten zu entspannen, fand man gerade in Las Vegas eine nicht weniger schreckliche Attraktion. Das nur 65 Meilen entfernte Atomtestgelände bot ein Schauspiel, das man gerne vom Hotelzimmer oder von der Terrasse der "Atomic Liquor Bar" bestaunte: Atompilze. Ahnungslos frönte man diesem Vergnügen, ließ sich dazu einen Atom-Bomben-Cocktail servieren, reckte sich sexy mit entsprechendem Bra und Atombusen auf einer bequemen Atompilzmuster-Liege und erzählte es später stolz den Nachbarn. Von 1951 bis 1992 gab es dort 900 Tests, davon 100 überirdisch!
In den 60er Jahren begann ein neues Las Vegas-Kapitel: Das größte Hotel der Welt, das "International", wurde eröffnet, vier Jahre später ein noch größeres, das "MGM Grand" mit 2000 Hotelbetten (heute ist das "Venetian" Spitzenreiter mit über 7000 Zimmern, insgesamt gibt es in Las Vegas 150.000 Zimmer!). 1966 zog Howard Hughes in das "Desert Inn", mietete das ganze obere Stockwerk und wollte auch nach sechs Wochen nicht wieder ausziehen, was der Direktion nicht passte; was wiederum ihm nicht passte, worauf er es kaufte. Auch den "Silver Slipper" gegenüber musste er kaufen, denn da drehte sich Tag und Nacht ein silberner Riesenschuh vor seinem Fenster, und man wollte das Ding nicht abdrehen! Insgesamt kaufte er fünf Hotelcasinos, um die Mafia aus Las Vegas zu drängen und First Class Entertainment zu bieten.
In diese Richtung geht es seither mehr und mehr. Man will First Class Küche anbieten, First Class Shopping und First Class Party. So gibt es den teuersten Hamburger der Welt (ob er seine 5000 Dollar wert ist, muss erst ausprobiert werden), Top-Köche und Koch-Events wie das "Las Vegas uncorked", riesige Shopping Malls, Shows der Superlative (die meisten eine Schöpfung von Cirque du Soleil), die teuersten DJ’s und das bis zu 10.000 Dollar kostende Bottle-Service: Vorbei an den kilometerlangen Warteschlangen wird man als VIP zu einem Tischchen in der angesagtesten Disco gebracht, dort warten eine Flasche Wodka oder Gin, verschiedene Fruchtsäfte und sexy Damen, die Cocktails mixen.
Neueste Attraktionen
Auch das größte Riesenrad der Welt muss natürlich in Las Vegas stehen, über 32 Meter höher als das London Eye, um den jährlich herbeiströmenden 40 Millionen Touristen wieder etwas Neues zu bieten. Seit März 2014 können sie in 28 Kabinen aus 168 Meter Höhe die Umgebung begutachten - klimatisiert und vollkommen erschütterungsfrei.
Aber neben diesen Moneymaker-Monstrositäten ist auch Downtown Las Vegas wieder zum Leben erwacht. Das alte Vergnügungsviertel um die Fremont Street hat neue Läden und Lokale und Erlebnisse wie die Zipline "SlotZilla", mit der man hoch über den Besuchern viele hundert Meter am Stahlseil durch die Luft saust. Der Straßenblock 18b wurde zum Designer-, Kunst- und Kreativviertel erklärt, man fördert dort das Ansiedeln von originellen Geschäften, Vintage Shops und Galerien, von Künstlern, Designern, Blumenbindern, Architekten, Innendekorateuren. Jeder, der Neues denkt, soll hier seinen Platz finden.
Ständig werden Vernissagen veranstaltet - gerne mit einem Augenzwinkern und gutem Geschäftssinn, wie "12 inches of sin" in der Sin City Gallery. Eigene Designer-Labels und Shops wie die "Stitch Factory" oder David Tupac und "Electric Lemonade" bieten "retro with a twist", man nennt sich "funky" und macht sich über sich selbst lustig, wie mit dem Riesenholzwürfel, groß wie ein Haus, den Künstler bemalt und dann verbrannt haben. Alles kommt und geht hier, was gestern groß in Mode war, ist morgen vergessen und landet dann teils auf dem Müll, teils in originellen Museen - wie dem "Neon-Museum", wo man all die alten, berühmten Casino-Reklamen, die so alt noch gar nicht sind, hingelehnt hat, vom "Stardust" bis zum "Dunes", von "Liberace" bis "Flamingo". Ein El Dorado für jeden Fotografen.
Ein großer Förderer dieser Aktivitäten, auch des Container-Parks für kreative Kleinunternehmer, ist Tony Hsieh, Gründer von "Zappos", dem Vorbild für das bei uns bekannte "Zalando". Er holte auch die riesige, feuerspeiende Gottesanbeterin, aus einem Panzer und Autowrackteilen gebastelt, hierher, wo neue Geschäftsideen ausprobiert werden können. Witzige Lokale, mit einem kleinen Gag im Namen oder in der Einrichtung, die genauso gut nach Berlin passen würden, werden begeistert besucht.
Museen und Theater

Ein Museum der Geschichte von Las Vegas, das "Mob Museum", arbeitet die Vergangenheit von den ersten Casinos in Downtown bis zu den Filmgrößen, Spielertricks und Mafia-Prozessen auf, übrigens ganz grandios interaktiv (man sitzt sogar im echten Gerichtssaal oder steht vor der echten "St. Valentines Day Massacre Wall" mit Einschusslöchern). Jeden ersten Freitag im Monat finden im Viertel 18b Street Fairs statt, die immerhin 20.000 Besucher anlocken, jeden Donnerstag kann man Lectures zu verschiedensten Themen besuchen, und offene Ateliers laden ein.
Ein Theater wurde hier gebaut, für das man unter anderem das Wiener Konzerthaus besuchte, um sich Tipps für die Ausgestaltung mitzunehmen, was auch teilweise erkennbar ist. Hier wird den über zwei Millionen Einwohnern, die meist nur ungern und eher selten den "Strip" besuchen, vom Ballett und Opern bis zum Musical gehobenere Unterhaltung geboten; ein neues Museum ist in Planung, das nicht nur Ausstellungen und eine Abteilung der Art-School beherbergen soll, sondern auch für viele Cross-Over-Aktivitäten sorgen wird, wenn es nach dem Architekten Eric Strain geht, der hier Kreativität aller Richtungen bündeln möchte.
"Ausgespielt" ist zwar in Las Vegas noch lange nicht, aber viel Neues ist im Werden. abseits von Gambling, Ballermann und Glitzerfummel. Und wenn man dann noch im Hubschrauber über den Grand Canyon schwebt oder die Red Rock Conservation Area mit Jeep und einem netten, ungemein gebildeten Führer wie Randy, einem ehemaligen Zoologen und Meeresbiologen, besucht, dann kann man hier eine grandiose Zeit mit einer gut bedienten Sehnsucht nach den 50er und 60er Jahren verbringen. Und mit vielen Überraschungen, denn hier bleibt nichts so, wie es einmal war.
Elisabeth Hewson, in Wien geboren, einige Zeit in England und in Tirol zu Hause, reist viel und lebt als freie Journalistin in Wien. Verfasserin zahlreicher Sachbücher.