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Vom Verbündeten zum Widersacher Erdogans – Fethullah Gülen

Von WZ Online

Politik

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Noch während auf den Straßen in Istanbul und Ankara gekämpft wird, macht Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putsch verantwortlich. Es ist nicht das erste Mal, dass der mächtigste Mann der Türkei dem in den USA emigrierten Prediger vorwirft, die Regierung stürzen zu wollen. Denn Erdogan und seine AKP sehen in Gülens Hizmet-Bewegung einen sektenähnlichen Geheimbund, der einen "Staat im Staate" bildet.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Erdogans größtem Widersacher.

Wer ist Fethullah Gülen, was ist seine Hizmet-Bewegung?

Der heute 75-Jährige ist ein international einflussreicher islamischer Prediger. Bis in die 1980er Jahre hinein wirkte er als Iman in verschiedenen türkischen Städten. Mit seinen Predigten und Büchern über den Islam, über Bildungs- und Wissenschaftsfragen sowie soziale Gerechtigkeit und den interreligiösen Dialog begeisterte Gülen viele Gläubige. Die daraus entstandene Bewegung Hizmet ("der Dienst") sieht einen ihrer Schwerpunkte in der Verbesserung von Bildungschancen.
Ihre Anhänger gründeten - zunächst in der Türkei, später weltweit - Schulen, Universitäten und Nachhilfeinstitutionen. Auch Krankenhäuser, Hilfswerke, Unternehmerverbände und Medienhäuser zählen zur Gülen-Bewegung. Viele Anhänger gibt es in der türkischen Justiz und Polizei. Seit 1999 lebt der gesundheitlich angeschlagene Prediger im US-Staat Pennsylvania. Er emigrierte nach einer Anklage wegen staatsgefährdender Umtriebe, die später mit einem Freispruch ad acta gelegt wurde.

Warum hat Gülen solchen Zulauf?

Selbst Kritiker, die die Hizmet-Bewegung in die Nähe einer Sekte rücken, bescheinigen Gülen Charisma und Geschick im Umgang mit Menschen. Politiker wollte er nach eigenen Worten nie sein. Seine Autorität und sein Einfluss basieren auf dem Wirken als Prediger, Gelehrter und Dichter. Seine Lehren sind womöglich auch deshalb populär, weil sie pragmatisch sind: Gülen bejaht die säkulare Gesellschaft, animiert zur Mitgestaltung und befürwortet wirtschaftlichen Erfolg. Ein Schlüssel dazu sei Bildung. Berühmt ist seine Losung, statt Moscheen müssten mehr Schulen gebaut werden.

Eine direkte Befehlskette von Gülen bis hin zu seinen schätzungsweise Millionen Anhängern weltweit ist von außen nicht erkennbar, ebenso wenig eine klare, straffe Organisation. Ihren Nachwuchs "rekrutiert" die Bewegung vornehmlich über ihre Schulen und ihre oftmals exzellenten Absolventen.

Warum sieht Erdogan in Gülen seinen Hauptfeind?

Lange Jahre waren Hizmet und Erdogans Regierungspartei AKP Verbündete. Dann offenbarten sich jedoch immer mehr Differenzen zwischen Gülen und Erdogan - etwa beim Thema Syrienkrieg, dem Verhältnis zu Israel oder dem Für und Wider von Versöhnungsgesprächen mit der kurdischen PKK. Im Sommer 2013 eskalierte der Streit: Gülen rügte Erdogans Niederschlagung der friedlichen Proteste im Gezi-Park. Erdogan verkündete, dass ein Großteil der Hizmet-Privatschulen, mit denen die Gülen-Bewegung auch viel Geld verdient, bis zum Herbst 2015 geschlossen werden sollen. Eine monatelang im Geheimen geplante Operation von Staatsanwaltschaft und Polizei führt am 17. Dezember 2013 schließlich zum Auffliegen eines der größten Korruptionsskandale in der Geschichte der türkischen Republik . In deren Zentrum standen vier AKP-Minister, AKP-nahe Wirtschaftsbosse sowie Erdogan und sein Familienclan. Erdogan beschuldigt die Gülen-Bewegung und mit ihr verbündete Justizbeamte, hinter der Aktion zu stehen. Erdogan übersteht den Korruptionsskandal relativ unbeschadet, in den folgenden Monaten kommt es aber zu großflächigen Säuberungsaktionen im Justiz- und Polizeiapparat. Tausende Polizisten, Richter und Staatsanwälte werden entweder entlassen oder zwangsversetzt. Heute gilt die Gülen-Bewegung in der Türkei offiziell als Terrororganisation.