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Vom Wankelmut der Spitzenkandidaten

Von Tom Raum, AP

Politik

Der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry wehrt sich bisher vergeblich gegen das von den Republikanern gezeichnete Bild vom wankelmütigen Politiker, der ständig seine Meinung ändert. Dabei ließen sich auch bei Präsident George W. Bush genügend Beispiele für politische Kehrtwendungen finden, und einige davon liegen erst wenige Wochen zurück. Die Demokraten versuchen deshalb, den Spieß umzudrehen.


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"Der wirkliche Wankelmütige ist der amtierende Präsident", kritisierte der einflussreiche demokratische Senator John Biden. Und in einer Presseveröffentlichung verhöhnten die Demokraten kürzlich Bush in Abwandlung seiner Funktion als Oberkommandierender der Streitkräfte als den "Oberwankelmütigen".

Der Erfolg dieser Kampagne blieb bisher allerdings aus. Nach einer am Wochenende veröffentlichten Umfrage der Nachrichtenagentur AP liegt Bush sieben Wochen vor der Präsidentenwahl am 2. November in der Wählergunst acht Prozentpunkte vor seinem Herausforderer Kerry. Der Präsident wird als deutlich entschlossener, stärker und sympathischer als Kerry betrachtet und konnte seine Position in praktisch allen den Wählern wichtigen Fragen ausbauen - vom Irak-Krieg über die Schaffung von Arbeitsplätzen bis zu Themen der nationalen Sicherheit und nationaler Werte.

Der Politikwissenschaftler James Thurber von der American University vermisst im Wahlkampf der Demokraten ein Konzept. Kerry greife in seinen Erklärungen zwar widersprüchliche Äußerungen Bushs auf, lasse dabei aber keine klare Offensivstrategie erkennen, sagte Thurber.

Dabei böte der Präsident in puncto Meinungsänderungen genügend Angriffsflächen. Noch im Wahlkampf 2000 wandte sich Bush gegen neue militärische Verstrickungen der USA in anderen Ländern. Drei Jahre später begann er den Krieg gegen den Irak und nannte dafür immer wieder neue Gründe - angefangen von angeblichen Massenvernichtungswaffen über angebliche Verbindungen des irakischen Präsidenten Saddam Hussein zum Terrorismus bis hin zur Befreiung des irakischen Volkes von einem brutalen Regime.

Vorigen Monat sorgte Bush für Verwirrung auch im eigenen Lager, als er in einem Interview Zweifel äußerte, ob der Krieg gegen den Terror gewonnen werden könne. Kurze Zeit später korrigierte er sich und erklärte, der Kampf werde selbstverständlich gewonnen.

Eine Woche nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sagte Bush, er wolle den Al-Kaida-Führer Osama bin Laden "tot oder lebendig". Nur sechs Monate später erklärte der Präsident vor Journalisten, Bin Laden interessiere ihn nicht wirklich. In seiner einstündigen Rede auf dem Wahlparteitag vor knapp zwei Wochen in New York erwähnte er den meistgesuchten Terroristen der Welt mit keinem Wort. Anfang Februar sagte Bush in einer Sendung des Fernsehsenders NBC: "Ich bin ein Kriegspräsident". In einer Wahlkampfrede in Iowa am 20. Juni dann erklärte er dagegen: "Niemand will der Kriegspräsident sein. Ich will der Friedenspräsident sein".

Fataler Irak-Schlingerkurs

Die Angriffe Bushs gegen seinen demokratischen Herausforderer zielen vor allem auf widersprüchliches Stimmverhalten Kerrys in dessen nunmehr 20-jähriger Zugehörigkeit zum Senat. Im Mittelpunkt steht dabei die Zustimmung Kerrys zu einer Vorlage, mit der die Parlamentskammer Ende 2002 Bush zum militärischen Eingreifen im Irak ermächtigte. Später sagte Kerry, er hätte dem bei Kenntnis der heutigen Fakten so nicht zugestimmt.

Ganz und gar widersprüchlich war Kerrys Abstimmungsverhalten im vergangenen Jahr bei einem Gesetz zur Freigabe von Mitteln in Höhe von 87 Mrd. Dollar zur weiteren Finanzierung der Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan. In einer ersten Abstimmung billigte er die Vorlage, bei der abschließenden Abstimmung votierte Kerry dagegen. "Ich habe tatsächlich dafür gestimmt, bevor ich dagegen gestimmt habe", sagte Kerry in einem mittlerweile im Wahlkampf oft kolportierten Satz, der nach Ansicht seiner Kritiker die Wankelmütigkeit des Herausforderers von Bush auf den Punkt bringt. Die Republikaner ließen sich die Steilvorlage nicht nehmen und bauten den Satz in einen ihrer Wahlkampfspots ein.