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Von allen Seiten unter Druck

Von WZ-Korrespondent Andreas Schneitter

Politik
Fatah-Militante im

Die aufgeflammte Unruhe schadet Palästinenserpräsident Abbas. Seine Rivalen von der Hamas wollen daraus Profit schlagen.


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Ramallah. Gestern verhaftete die israelische Armee den Imam Hassan Yousef und führte ihn aus seinem Haus in der Nähe von Hebron im Westjordanland ab. Yousef, eskortiert von israelischen Soldaten, ist kein seltenes Bild. Der Mitgründer der radikalislamischen Hamas hat in den vergangenen 30 Jahren mehrere israelische Gefängnisse von innen gesehen, zuletzt trat er jedoch kaum in Erscheinung. Erst in den vergangenen zwei Wochen, als die Zahl der Toten im israelisch-palästinensischen Konflikt wieder zunahm, meldete sich Yousef wieder. Ein Volk, das unter andauernder Besatzung lebe, werde "mit allen Mitteln" für den Widerstand kämpfen, sagte er dem TV-Sender Al-Watan. Auch mit Waffen.

Yousefs Verhaftung war damit absehbar, obwohl er im Hamas-Universum als weniger radikal gilt. Aus Hebron, der Hochburg der Hamas im Westjordanland, kommen die meisten palästinensischen Attentäter der vergangenen Wochen außerhalb Ostjerusalems. Erst am Dienstag griff ein Palästinenser südlich von Hebron einen israelischen Soldaten mit einem Messer an und wurde infolge getötet. Mahmud al-Zahar, ebenfalls Hamas-Gründungsmitglied und kompromissloser Hardliner, rief aus Gaza seine Anhänger im Westjordanland zu größeren Anschlägen, notfalls auch Selbstmordattentaten, auf. Das Potenzial dazu ist vorhanden: Die israelische Armee in Hebron hob diese Woche eine Hamas-Zelle aus und stellte Sprengstoff sicher.

Es ist die bewährte Strategie der Hamas: Sie wünscht sich Ruhe im Gazastreifen, wo der Wiederaufbau seit dem letzten Krieg im Sommer 2014 noch im Gang ist und die Wiederbewaffnung längst nicht für einen neuen Konflikt mit Israel ausreicht - und ruft zu Unruhen im Westjordanland auf, wo die Konkurrenz, die Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, die Politik bestimmt. Noch vor rund einem Jahr schien eine Annäherung der seit fast zehn Jahren verfeindeten wichtigsten palästinensischen Parteien möglich. Im Sommer 2014 wurde der Versuch einer Einheitsregierung ausgerufen.

Kurz danach brach der 50-tägige Krieg zwischen der Hamas und Israel aus, der viele zivile Opfer in Gaza forderte, aus dem jedoch die Hamas als moralischer Sieger in den Augen vieler Palästinenser hervorging. Seither ist das Ansehen von Abbas im Keller. Seine diplomatische Offensive, Palästina als Staat zu etablieren und somit mit den Möglichkeiten des internationalen Rechts gegen Israel vorzugehen, brachte zwar Israels Regierung gegen ihn auf, blieb jedoch ohne Wirkung. Sinnbild war seine Rede vor der UN-Generalversammlung vor drei Wochen. Als "Paukenschlag" angekündigt, beinhaltete sie nicht mehr als vage Drohungen, sich aus den Osloer Friedensabkommen von 1994 und 1995 zurückzuziehen.

Rücktritt Frage der Zeit

Die Hamas hat es verstanden, Abbas’ Zwickmühle auszunutzen. Unruhen im Westjordanland konnte er sich während seiner internationalen Kampagne nicht leisten, weshalb die Kooperation der israelischen und palästinensischen Sicherheitskräfte heuer an Bedeutung gewann. Selbst als der Palästinensische Nationalrat, auf dem Papier der Regierung übergeordnet, im Frühling das Ende der Sicherheitskooperation verkündete, ignorierte dies Abbas.

Die Konsequenz folgte wenige Wochen später: An der Wahl des Studentenrats der Universität Birzeit, die wichtigste palästinensische Hochschule und traditionell eine Fatah-Zone, trugen die Vertreter der Hamas einen deutlichen Sieg davon. In einem Land, in dem seit 2006 kein Plebiszit mehr stattgefunden hat, stellte dieses Resultat ein deutliches Zeichen dar. Auch für die Regierung: Ramallah begrub im Juli die nur noch als Fassade bestehende Einheitsregierung mit der Hamas.

Seither begegnen sich die beiden Parteien wieder in offener Feindschaft. Der Druck auf Abbas hat von allen Seiten zugenommen. Die Hamas ruft zu Angriffen und "Tagen des Zorns" auf. Israels Rechtspolitiker bezichtigen Abbas und seine Hausmedien als "Hetzer", weil sie die palästinensischen Attentäter als "Märtyrer" und "Helden" feiern, die von israelischen Soldaten erschossen werden würden. Und in der Bevölkerung steigt der Frust über die zunehmende Gewalt von israelischen Siedlern gegen palästinensische Zivilisten: Über 300 Angriffe verzeichnet die in Bethlehem ansässige Nachrichtenagentur "Maan" bisher für 2015. Laut einer Umfrage von Anfang Oktober sind zwei Drittel der Befragten der Meinung, Abbas’ Regierung tue nichts, um die Bevölkerung zu schützen, und verlangen seinen Rücktritt.

Der Rücktritt ist eine Frage der Zeit: Abbas ist 80 Jahre alt, einen Stellvertreter hat er bisher nicht bestimmt. Erste Anwärter bringen sich in Position: Djibril Rajoub, Vize-Generalsekretär der Fatah, begrüßte am Wochenende im palästinensischen TV die aktuelle Serie an Messerangriffen als "hilfreich" für die palästinensische Sache. Im Vergleich zur zweiten Intifada, als Selbstmordattentäter sich inmitten israelischer Zivilisten in die Luft sprengten und die Weltöffentlichkeit gegen sich aufbrachten, habe man nun ein anderes Bild: verzweifelte Teenager, die mit Messern auf stark bewaffnete Soldaten losgehen und von ihnen niedergeschossen werden. Rajoub wäre ein Nachfolger, mit dem sich Israel kaum mehr auf eine Sicherheitskooperation verständigen könnte und der die martialischen Rufe der Hamas ins Leere laufen lassen würde.