)
dm will rezeptfreie Medikamente verkaufen - und klagt vor dem Verfassungsgerichtshof.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Es gibt körperliche Beschwerden, über die man nicht gerne spricht, schon gar nicht mit Fremden. Dem digitalen Zeitalter ist es gedankt, dass Apotheken auch virtuell rezeptfreie Heilmittel zum diskreten Kauf offerieren. Es ist nichts Peinliches daran, online etwas gegen eine unangenehme Pilzerkrankung oder Pickel zu bestellen. Der Computer stellt keine Fragen, niemand hört mit.
"Wir verkaufen aus dem Arzneimittelsortiment neben klassischen Erkältungs- und Schmerzmitteln viele Produkte für ‚Intimangelegenheiten‘", sagt Pia Baurek-Karlic, Geschäftsführerin der Online-Apotheke Beavit. Eine große Kundengruppe bestelle von außerhalb Wiens. Gerade in ländlichen Gegenden, wo es nur eine Apotheke gibt, muss ja nicht jeder wissen, dass man eine Blasenentzündung hat.
E-Mail-Beratung vom Pharmazeuten
Online-Versandhändler verkaufen schon seit langem Medikamente im Internet und liefern auch nach Österreich. Österreichischen Apotheken ist der Online-Versand rezeptfreier Arzneimittel erst seit Juni 2015 erlaubt (siehe "Wissen). Seit damals hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) 28 Versandapotheken zugelassen und registriert. Die Auflagen sind streng: So muss hinter jeder Versandapotheke eine real existierende öffentliche Apotheke stehen. Derzeit gibt es 1360 Apotheken.
Weiters darf die Zustellung maximal einen Werktag dauern, und Online-Kunden müssen rund um die Uhr die Möglichkeit haben, sich von einem Pharmazeuten beraten zu lassen. Bei Beavit ist dies telefonisch oder per E-Mail möglich. "Wir haben täglich mehrere Anfragen", so Baurek-Karlic.
Um den Missbrauch mit Medikamenten zu vermeiden, dürfen nur kleine Mengen abgegeben werden. "Wenn ein User ein Medikament öfter als drei Mal bestellt, wird er von uns kontaktiert", sagt Stefan Sommeregger, der das Portal apothekenlieferservice.at betreibt. Das sei aber erst ein Mal vorgekommen. Auch bei Sommeregger, der einen 2-Stunden-Lieferservice ohne Aufzahlung anbietet, werden Präparate rund um Intim-Themen stark nachgefragt, weiters die typischen Schmerz- und Grippemittel. Vor allem am Wochende werde viel bestellt.
Die Drogeriemarktkette dm will die Bedeutung der Beratung in den Apotheken nicht überbewerten. Keine Apotheke könne garantieren, dass ein Medikament richtig und von der richtigen Person eingenommen werde. Und potenziell gesundheitsgefährdende Medikamente würden ohnehin der Rezeptpflicht unterliegen.
dm will Apothekenvorbehalt zu Fall bringen
Das Unternehmen kämpft daher vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) darum, ebenfalls rezeptfreie Arzneimittel verkaufen zu dürfen. "dm darf das jetzt schon und tut es auch", sagt dazu Christoph Baumgärtel von der Ages (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) und erklärt: Es gebe aus Gründen der Arzneimittelsicherheit zwei Arten von rezeptfreien Medikamenten: jene, die bei falscher Anwendung Schaden anrichten könnten, und "harmlose". So könne beispielsweise Asprin für Kinder gefährlich werden, und der Wirkstoff Paracetamol, der unter anderem in Mexalen enthalten ist, könne die Leber schädigen. Daher seien diese Präparate apothekenpflichtig. Arzneien, die auch bei falscher Anwendung harmlos sind, dürften sehr wohl in Drogerien verkauft werden. Das seien etwa 80 Mittel, zum Beispiel Tees, Salben oder Hustenpastillen, so Baumgärtel, der auch Mitglied in der Rezeptpflichtkommission ist. Diese berät die Gesundheitsministerin in der Frage, welche Arzneimittel rezeptfrei in der Apotheke abgegeben werden dürfen und für welche Rezepte erforderlich sind.
dm will sich nicht mit dem Apothekenvorbehalt abfinden und ficht ihn vor dem VfGH an. In den meisten Haushalten gebe es einen Vorrat an rezeptfreien Medikamenten, und die Verbraucher wüssten üblicherweise, wie man sie anwendet. dm hingegen dürfte nicht einmal eine Fußpilz-Creme aus dem deutschen Sortiment anbieten, weil sie hierzulande als apothekenpflichtig eingestuft sei.
Wenn dm vor dem Verfassungsgerichtshof recht bekommen sollte, müsse eine qualifizierte Beratung in den Filialen sichergestellt sein, sagt Angela Tichy vom Verein für Konsumenteninformation (VKI): "Ein Pharmazeut muss da sein." Bei dm heißt es, eine pharmazeutische Beratung auf Nachfrage, zu der Internet-Apotheken verpflichtet sind, könne man in gleicher Qualität bieten, etwa per E-Mail oder Telefon-Hotline. Es gebe bereits Anfragen von Pharmazeuten, die mit dm zusammenarbeiten wollen.
dm hat noch ein Ass im Ärmel: Österreicher, die über deutsche Versandapotheken rezeptfreie Medikamente bestellen, würden diese oft deutlich günstiger bekommen. Auch bei dm würden die Preise niedriger sein.
Medikamente gehören in die Apotheke
Dass der Handelsverband, der unter anderem die Interessen der großen Supermarktketten wie Rewe und Spar vertritt, den Schritt von dm "gut nachvollziehen" kann, beunruhigt die Apothekerkammer sehr. "Medikamente gehören in die Apotheke", so Kammerpräsident Max Wellan in einer Aussendung. Er warnt eindringlich vor einer "Ausfransung der Vertriebswege" für rezeptfreie Arzneimittel auf Supermärkte und befürchtet eine Wettbewerbsverzerrung.
Christoph Baumgärtel sieht die Gefahr, dass der leichtere Zugang zu Medikamenten im stationären Handel einen leichtsinnigeren Umgang mit Medikamenten bewirken könnte.
Der Handel mit Arzneimitteln ist in Österreich streng geregelt. Durch den "Apothekenvorbehalt" im Arzneimittelgesetz (AMG) ist die Abgabe von sowohl rezeptpflichtigen als auch rezeptfreien Arzneimitteln in Haushaltsmengen ausschließlich Apotheken vorbehalten. "Die Abgabe von Arzneimitteln in Selbstbedienung oder durch Fernabsatz ist verboten." So steht es wörtlich im Gesetz. Von diesem grundsätzlichen Fernabsatz- beziehungsweise Versandhandels-Verbot besteht aber eine Ausnahme, für die ein Spruch des Obersten Gerichtshofs (OGH) verantwortlich ist. Am 27. März 2012 urteilte der OGH in Bindung an die Rechtsprechung des EuGH, dass der Versandhandel mit rezeptfreien Arzneimitteln in Österreich für Apotheken mit Sitz in einem EWR-Staat zulässig ist. Das hierzulande geltende absolute Arzneimittelversandverbot verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht, begründeten die Höchstrichter ihre Entscheidung.
Hohe Qualitätsvorgaben
Der Gesetzgeber reagierte auf die Situation der österreichischen Apotheken und gewährte auch ihnen durch eine Novelle des AMG den Zutritt zum Internethandel. Seit 25. Juni 2015 dürfen auch heimische Apotheken in Österreich zugelassene oder registrierte rezeptfreie (Human-)Arzneimittel online verkaufen. Um die Konsumenten vor gefälschten Medikamenten zu schützen, gelten hohe Qualitätsvorgaben, zum Beispiel zur Einhaltung der Kühlkette. Der Verkauf darf ausschließlich über Apotheken erfolgen, die sich zuvor beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) registriert haben. Ein EU-weit gemeinsames grün-weißes Sicherheitslogo für Versandapotheken zum Anklicken gibt den Konsumenten Sicherheit.
Arzneimittelhandel
Wer im Ausland Medikamente bestellt, die in Österreich rezeptpflichtig sind, macht sich strafbar - egal, in welchem Land die betreffende Versandapotheke ihren Firmensitz hat.