Vor drei Jahren gelang ihr die Flucht. | Heute zieht sie sich zu Hause zurück. | Wien. Seit ihrer Flucht aus der Gewalt ihres Entführers Wolfgang Priklopil am 23. August 2006 ist der Name Natascha Kampusch immer wieder in den Medien aufgetaucht. Dabei ging es nicht immer nur um den Kriminalfall und ihr Schicksal; vereinzelt suchte die heute 21-Jährige selbst die Öffentlichkeit - z.B. durch ihre kurzfristige Tätigkeit als Talkshow-Gastgeberin. Dass aber Interviews mit ihr kurz nach der Flucht aus der achteinhalb Jahre dauernden Gefangenschaft zuerst fast nur in Boulevard-Blättern aufgetaucht sind, war wohl ihren Beratern zu verdanken. Wilde Gerüchte über ihre Person und Klagen über die Verletzung des persönlichen Lebensbereiches waren die Folge.
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Eine Gratiszeitung hatte z.B. im Juli 2007 Bilder veröffentlicht, auf denen Kampusch beim Tanzen mit einem Mann zu sehen ist, und mit Bemerkungen - wie "Ihr neues Glück", "Natascha: Süß ist ihre Liebe" - angereichert. In zweiter Instanz hat der OGH schließlich erst am Mittwoch dieser Woche entschieden, dass das nicht zulässig war.
Heute, drei Jahre nach ihrer Flucht, ist es abgesehen von den Diskussionen über die weiteren Ermittlungen in dem Fall einigermaßen ruhig um ihre Person geworden. Lediglich ein sehr persönliches und selbstreflektiertes Interview ist wenige Tage vor diesem dritten Jahrestag zu finden - diesmal in einem deutschen Qualitätsblatt: Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" sprach Kampusch über ihr Leiden unter dem Druck der Öffentlichkeit und Anfeindungen als bekannte Persönlichkeit. "Heute bin ich Hexe, morgen Prinzessin", kritisierte Kampusch eine "Art Okkupation" durch die Medien, wie kurz nach ihrer Befreiung.
"Ich habe Angstzustände, bin zum Einsiedlerkrebs geworden", sagte sie. "Ich fürchte mich vor dem Ganz-alleine-gelassen-Werden." Sie ziehe sich daher in ihre Wohnung zurück, züchte Kakteen, male und fotografiere Stillleben. Sie trinke keinen Alkohol, gehe nicht aus. Kampusch: "Ich fühle mich schon mein Leben lang wie in einer Warteschleife. Nun hoffe ich, dass bald der Hauptfilm anläuft."
Rad dreht sich weiter
Kampusch kann nach wie vor kaum eigene Entscheidungen treffen - immer drängen sich Berater auf und geben den Kurs vor. "Damals war ich so wie ich bin, wenn mich niemand beeinträchtigt", so Kampusch. "In meinem Keller war ich perfekt, abgeschlossen und beendet. Aber heute haben mir die Leute mein Ich-Sein genommen."
Und das Rad dreht sich weiter: Inzwischen hat die erste Besprechung mit dem neuem Ermittlungsleiter Thomas Mühlbacher und der Evaluierungskommission sowie der Sonderkommission im Bundeskriminalamt stattgefunden.
Gleichzeitig erhob eine Frau gegen die Mutter des Opfers, Brigitta Sirny, einmal mehr schwere Vorwürfe. In einem Magazin bezeichnet sie ihre Nachbarin als Schlüsselfigur und erzählt von Kontakten Kampuschs und ihrer Mutter zu Priklopil vor der Entführung. "Vielleicht sieht sie sich selbst als Schlüsselfigur", sagte der neue Ermittlungsleiter dazu.
Und die medialen Spekulationen um die Hintergründe von Kampuschs Gefangenschaft drohen weiterzugehen - sofern die Boulevardpresse weiter Nahrung dafür bekommt.
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