Eine junge linke Bewegung befindet sich in Brasilien im Aufschwung.
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Marielle Franco ist Afrobrasilianerin und wuchs in einer Favela im Norden von Rio de Janeiro auf. Dort zeichnen Bandenwesen, Drogenkriminalität und deren Bekämpfung durch die Polizei das blutige Alltagsleben. Mit 18 Jahren wurde Marielle schwanger und musste die Schule abbrechen. Nicht die besten Voraussetzungen für einen rosigen Start ins Erwachsenenleben - schon gar nicht, um eines Tages Spitzenpolitikerin zu werden. Doch mit Willen und Engagement hat sie ihrem Schicksal getrotzt. Nach Marielles Niederkunft kümmerte sich ihre Mutter tatkräftig um ihre Tochter. Marielle bestritt als Vorschullehrerin und mit Minimalgehalt den bescheidenen Lebensunterhalt. Mit der Unterstützung ihrer Mutter gelang es Franco, die Schule fertigzumachen und Sozialwissenschaften zu studieren. Das sogar an einer renommierten Privatuniversität, an der sie ein Stipendium erhalten hatte. Heute sitzt die 38-Jährige im 51-köpfigen Stadtparlament ihrer Heimatstadt als eine von nur sechs Frauen. Franco gehört der linken Partei Psol ("Sozialismus und Freiheit") an und ist Aushängeschild einer neuen politischen Bewegung in Brasilien. Die Psol gibt es erst seit 13 Jahren. Hervorgegangen ist sie aus dem linken Flügel der Arbeiterpartei von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Landesweit hat die Psol zwar noch nicht viel zu melden, doch unter der desillusionierten urbanen Jugend erfreut sie sich zunehmender Beliebtheit. Viele junge Brasilianer haben die Nase voll von den seit Jahren regierenden Großparteien, bei denen ein Korruptionsskandal den anderen jagt. Unter anderem erlangte die Psol Aufmerksamkeit, als sie für die Aufhebung der Immunität von Präsident Michel Temer kämpfte. Erste Achtungserfolge erreichte die Partei in Rio de Janeiro und der Millionenstadt Belem, wo ihre Kandidaten bei den Gemeinderatswahlen überraschend deutlich die Stichwahl erreichten, auch wenn sie sich in dieser dann geschlagen geben mussten. Marielle Franco trat mit dem Wahlkampfslogan "Ich bin, weil wir sind" an - eine Anlehnung an die afrikanische Ubuntu-Philosophie, wonach alle Handlungen des Einzelnen auf die Gemeinschaft abfärben und umgekehrt. Als Gemeinderätin setzt sich Franco für Frauen ein. Unter anderem will sie, dass die Strecken der öffentlichen Busse derart angepasst werden, dass Frauen in der Nacht an sichereren Orten aussteigen können, sie setzt sich auch für mehr Kinderkrippen ein - Projekte, bei denen die Stadt für sie bisher versagt hat. Der Grund ist laut Franco, dass sie die unsichtbaren Grenzen nicht berücksichtigt, die die Favela-Gangs gezeichnet haben, erklärte sie dem Online-Magazin "Ozy". - Eine Expertise, über die sie zweifelsohne verfügt und die es ihr erlaubt, eine für viele glaubwürdigere Politik zu machen.