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"Von den Gedenktafeln haben wir nichts"

Von Solmaz Khorsand

Politik
"Von Gedenktafeln haben wir nichts", sagt Leo Luster.
© Luiza Puiu

Im Exil geborene Kinder gelten laut Gesetz als nicht verfolgt.


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Wien. B11647. Das ist die Nummer, die sie ihm eintätowiert haben. Stoisch zieht Leo Luster den Ärmel seines Baumwollhemds hoch. Und zeigt die verblasste Tätowierung auf seinem linken Unterarm. Die Geste macht der 86-Jährige fast schon automatisch. Es ist eine Geste gegen das Vergessen. Immer wieder hat er seinen Arm in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, zum Beweis dafür, was passiert ist.

Auch dieser Tage, in denen an das Novemberpogrom gedacht wird, wurde Leo Luster aus Israel nach Wien eingeladen. Wieder soll er, der Auschwitz-Überlebende, erzählen: von seiner Kindheit in der Leopoldstadt, der Wohnung in der Schreygasse, der Schule für jüdische Kinder in der Kleinen Sperlgasse, seiner Deportation nach Theresienstadt. Und natürlich Auschwitz. All das ruft er in Erinnerung. Macht mit bei Prozessionen und der Einweihung von Gedenkstätten. Dabei hat er einen ganz anderen Auftrag.

Verfolgt ist nicht gleich verfolgt

"Ich sage, sie sollen uns weniger Gedenktafeln aufstellen und besser den Leuten helfen, die noch da sind", sagt er. "Von den Gedenktafeln haben wir nichts." Seit 15 Jahren hat Leo Luster eine Mission. Er arbeitet in Israel für das "Zentralkomitee der Juden aus Österreich". Ehrenamtlich sitzt er jeden Tag von 9 bis 12 Uhr in einem Büro in der Levi Izhak Straße in Tel Aviv und kämpft für die Pensionsansprüche dutzender Holocaust-Überlebender und ihrer Angehörigen. Es sind alte Männer und Frauen, deren Eltern dem Naziregime entfliehen konnten. Sie selbst kamen während des Zweiten Weltkriegs im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina zur Welt. Jetzt sind sie alt und brauchen Unterstützung.

Jahrelang konnten nur jene Holocaust-Überlebenden Pensionszeiten nachkaufen - und damit ihren Anspruch auf eine österreichische Pension sichern -, wenn sie spätestens am 12. März 1938 in Österreich geboren worden waren. 2009 wurde das Gesetz erweitert: "Der erste Satz ist auch auf Personen anzuwenden, die nach dem 12. März 1938 und spätestens am 8. Mai 1945 geboren wurden und als Verfolgte im Gebiet der Republik Österreich oder in einem anderen Land gelebt haben, wenn zumindest ein Elternteil der betroffenen Person am 12. März 1938 seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte", heißt es im Gesetz.

In der Levi Izhak Straße herrschte vor drei Jahren Aufbruchstimmung. 140 Anträge hat Luster im Namen seiner Klienten gestellt. 50 wurden bewilligt. Der Rest wurde abgelehnt. Das Sozialministerium begründete die Entscheidung damit, dass die Antragsteller im palästinensischen Exil nicht unmittelbar vom Nazi-Regime verfolgt wurden. Wären sie beispielsweise in Frankreich, den Niederlanden oder Jugoslawien geboren gewesen, Ländern, die von den Nazis besetzt worden waren, sähe die Rechtslage für das Ministerium anders aus. "Das ist eine Diskriminierung", sagt Luster, "man war damals in Palästina nicht frei. Sie waren auch in Palästina Flüchtlinge und konnten sich nicht frei bewegen, weil sie hier illegal eingewandert waren", erklärt er.

2011 gab der Verwaltungsgerichtshof der Begründung des Sozialministeriums recht - die Beschwerde von Lusters Klienten wurde abgewiesen. "Ich hab die Interpretation nicht nachvollziehen können. Es geht um die Opfer der Schoah und das steckt im Telos des Gesetzes drinnen", sagt der Jurist Heinrich Vana, dessen Kanzlei 81 Mandaten in dieser Causa vertreten hat. "Es geht um die begründete Angst vor Verfolgung. Es ist keine Rede davon, dass Nazi-Schergen vor der Tür stehen müssen", bezieht sich Vana auf den Flüchtlingsbegriff der UNO-Flüchtlingskonvention.

Nur ein kleiner Personenkreis ist betroffen

Derzeit kontaktiert Luster diverse Parlamentsabgeordnete und hofft, dass sie das Gesetz im Nationalrat noch einmal diskutieren. Bisher ohne Erfolg. Er gibt zu bedenken, dass es sich bei seinen Klienten in Israel um einen sehr kleinen Personenkreis handelt. Selbst der Parlamentsausschuss "Arbeit und Soziales" hat vor der Gesetzesnovelle 2009 die Zahl der Antragsteller, die von der Änderung profitieren könnten, auf höchstens 450 Personen geschätzt - und das weltweit. Würde man jedem einzelnen dieser Betroffenen monatlich eine Pension von 300 Euro zahlen, würde es das österreichische Pensionssystem im teuersten Fall - also, wenn sich die Antragsteller bester Gesundheit erfreuen - jährlich 1,9 Millionen Euro kosten, rechnet der Ausschuss vor.

"Österreich wird nicht bankrottgehen", sagt Luster. "Es ist nur für ein paar Jahre. Dann sind diese Menschen nicht mehr da."