Zum Hauptinhalt springen

Von der Bestie zum Sympathieträger

Von Mathias Ziegler

Wissen
Der Bartgeierbestand hat sich dank Freilassungen (o.) erholt, auch jener der Steinadler (u.) ist zufriedenstellend. Foto: Streitmaier, Keuschnig

In den Hohen Tauern gibt es wieder genügend Bartgeier und Steinadler. | Monitoring im Nationalpark. | Mallnitz. Mit "Eustachius" und "Maseta" neigt sich im Nationalpark Hohe Tauern ein Kapitel allmählich dem Ende zu: Seit 1986 wurden in den Alpen insgesamt 120 Bartgeier freigelassen. "Mittlerweile wachsen pro Jahr im Alpen-Freiland sieben bis acht junge Bartgeier auf - das sind mehr, als wir aussetzen", berichtet Michael Knollseisen vom Nationalparkteam im Mallnitzer Seebachtal (Kärnten), wo "Eustachius" und "Maseta" Anfang Juni ausgesetzt wurden. Derzeit machen die vier Monate alten Bartgeierdamen ihre ersten Flugversuche.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In den letzten zwei Jahrzehnten wurde auch das Bartgeier-Monitoring ausgebaut: Alle freigelassenen Vögel sind beringt, haben gebleichte Federn zur Wiedererkennung, ihnen wurde Blut für DNA-Abgleiche mit gefundenen Federn entnommen, viele tragen GPS-Sender, und regelmäßig gehen Sichtungsmeldungen von Jägern, Hüttenwirten und Liftwarten ein.

Wie es aussieht, hat der Bestand der Bartgeier, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts im heimischen Alpenraum ausgerottet waren, jetzt wieder einen zufriedenstellenden Wert erreicht. Hauptgrund dafür ist ein Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung: Wurde der Aasfresser früher als Bestie diffamiert, die angeblich Lämmer und sogar Babys raubte, so ist er heute ein echter Sympathieträger. Das zeigt auch der Besucheransturm bei den Freilassungen.

Zufrieden sind die Nationalpark-Verantwortlichen auch mit dem Adlerbestand. Wie das Monitoring in den vergangenen Jahren gezeigt hat, gibt es in den heimischen Alpen wieder genug Steinadler. "Die Reviere sind voll, sodass junge Adler sogar in Richtung Deutschland auswandern", berichtet Gunther Gressmann vom österreichisch-italienischen Monitoring-Projekt Aquilalp.net.

Auch der Steinadler war zu Beginn des 20. Jahrhunderts beinahe ausgerottet. Mittlerweile dürften allein im Nationalpark Hohe Tauern etwas mehr als 40 Adlerpaare leben, "mit einer Reviergröße von 35 Quadratkilometern - das ist schon am unteren Limit", sagt Gressmann. Er räumt auch mit einem alten Vorurteil auf, wonach Adler mit Vorliebe Haustiere erlegen würden. "Wo Murmeltiere vorkommen, sind sie ihre Hauptnahrung. Ansonsten jagen die Adler vor allem Gämsen und Hühnervögel sowie Füchse, Marder, Schlangen und Frösche."

Ein paar Wermutstropfen gibt es aber schon: So wird etwa die Hälfte der Jungadler nicht älter als drei Jahre und erreicht damit gar nicht die Geschlechtsreife. Und nach wie vor sind neben der Wilderei auch Bleivergiftungen durch Kugeln ein Problem: Dies betrifft jene Adler, die zwischendurch auch Aas fressen und dabei die Reste von geschossenem Wild erwischen.

Forschung und Bildung

Bartgeier und Steinbock sind freilich nur zwei von tausenden Tierarten, bei denen ein Monitoring interessant wäre. "Aber wir haben einfach zu wenig Kapazitäten, um alles zu erforschen", meint Ferdinand Lainer von der Nationalparkleitung. Und so konzentriert man sich eben auf bestimmte Details. Wie die 1300 Schmetterlingsarten, die jüngst untersucht wurden; oder die 10 der rund 1000 Steinböcke, deren Wanderverhalten aufgezeichnet wurde; oder die urheimischen Forellenarten, die jetzt in den Alpenbächen wiederangesiedelt werden; oder das Rotsternige Blaukehlchen, das außer an zwei Stellen in den Hohen Tauern sonst in Europa nur in Skandinavien existiert und zum Überwintern nach Nordafrika fliegt: Zum Schutz der 18 Vögel in Obertauern wurde sogar ein von der Landwirtschaft genutzter Weg umgeleitet.

All diese Forschungsprojekte führt der Nationalpark, der sich mit insgesamt 1836 Quadratkilometern über Teile Salzburgs, Kärntens und Osttirols erstreckt, nicht selbst durch. "Wir haben dafür ein breites und starkes Netzwerk in der Region", erklärt Peter Puritsch, Nationalpark-Direktor in Kärnten. Ein Fixpunkt ist daher das internationale Forschungssymposium auf Burg Kaprun (heuer von 17. bis 19. September), bei dem verschiedenste Projekte vorgestellt und diskutiert werden. Außerdem leistet der Nationalpark auch viel Bildungsarbeit: Einerseits werden Gäste in die Nationalparkzentren gelockt, andererseits geht man auch aktiv an Schulen.

Akzeptanz ist gewachsen

Zum Netzwerk des Nationalparks gehört auch die Bevölkerung im Einzugsgebiet der Hohen Tauern (rund 93.000 Menschen auf 4800 Quadratkilometern). Mehrere Bartgeier zum Beispiel wurden von der Jägerschaft gesponsert, das Steinwild-Monitoring hat das Unternehmen Swarovski mitfinanziert, ohne den Fischereiverband und das Sponsoring der Firma Stiegl wäre die Nachzüchtung der sogenannten Urforellen nicht möglich gewesen, und ohne den Bio-Landbau in der sogenannten Außenzone wäre wohl die naturbelassene Kernzone, in der Jagd- und Bewirtschaftungsverbot herrscht, undenkbar.

Überhaupt, meint Nationalpark-Salzburg-Direktor Wolfgang Urban, "profitiert die Kulturlandschaft rundherum von der Naturlandschaft im Nationalpark und umgekehrt. Deshalb ist uns auch eine nachhaltige Bewirtschaftung in der Pufferzone wichtig. Der Nationalpark soll die Menschen nicht vertreiben, sondern Synergieeffekte produzieren". Urban führt als Beispiel die Lebensmittelmarke "Ja! Natürlich" an, die in der Nationalpark-Außenzone in Kärnten entstanden ist.

Freilich war es ein steiniger Weg von der Verhinderung eines Staukraftwerks an der Krimmler Ache durch 120.000 Unterschriften im Jahr 1951 bis zur internationalen Anerkennung des Nationalparks Hohe Tauern durch die UN-Organisation IUCN vor drei Jahren. "Noch einmal würde ich mir diesen Kampf bei der Errichtung des heutigen Nationalparkgebiets wohl nicht noch einmal antun", meint Tirol-Direktor Hermann Stotter im Rückblick auf seine intensiven Bemühungen Anfang der 1990er Jahre.

Viele Untergriffe habe es gegeben im Ringen um die Schutzflächen, letztlich aber wurden alle Seiten zufrieden gestellt. "Die Bauern profitieren ja im Gegenzug durch Förderungen", so Stotter. Auch die Jägerschaft konnte nach langen Streitereien ins Boot geholt werden. "Demnächst machen wir gemeinsam eine Ausstellung Jagd und Fischerei - das wäre noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen", sagt Stotter.

* Mehr dazu im Internet:

www.hohetauern.at, www.aquilalp.net, www.alpac.org/our-actions/research-platform/european-mountain-pool *