Das Angebot von Küchengeräten folgte lange dem Gesetz der sinnhaften Notwendigkeit. Mittlerweile ist die Küche voller Hightech und verspielter Accessoires.
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Kochsendungen sind Quotenhits, Köche Talkshow-taugliche Hauben-Stars und Kochbücher für deren Besitzer eher Fanartikel denn eine banale Sammlung von Rezepten. Kurzum: Kochen ist ein Megatrend mit Spaßfaktor. Daher kommt es wohl nicht von ungefähr, dass sich die Küche in den letzten Jahrzehnten über den praktischen Nutzen hinaus zu einem Raum individueller Lebensart entwickelt hat, der eine Synthese aus Funktionalität und Wohnlichkeit eingegangen ist. Und es ist auch nicht weiter verwunderlich, dass die Küche Hand in Hand mit dem allgemeinen Fortschritt eine enorme technologische Aufrüstung erfahren hat, aber auch gemäß der Verspieltheit unserer Zeit mit viel unnötigem Schnickschnack versehen wurde.
Sieht man einmal von der revolutionären Erfindung des geschlossenen Castrol-Ofens (ca. 1735) und der bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Verwendung von Gas für Kochzwecke ab, verdanken Hausfrauen, Köche und Hobby-Gourmets alle bedeutenden Veränderungen dem 20. Jahrhundert. Diese betrafen zunächst die architektonische Gestaltung, wofür als frühes und berühmtes Beispiel die von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky nach den Grundsätzen des arbeitsteiligen Taylorismus 1926 konzipierte "Frankfurter Küche", die Ur-Mutter aller Einbauküchen, gilt. Die wenig später von den Deutschen Erna Meyer und Hanna Löv präsentierte "Münchner Küche" hob die Trennung von Koch- und Essbereich durch ihren türlosen Zugang und eine Art teilverglasten Holzparavent atmosphärisch auf. Die "Wiener Einbauküche", ab Mitte der 1950er Jahre vom Verein "Soziale Wohnkultur" auf den Markt gebracht, vereinte schließlich wieder beide Bereiche zur Wohnküche. Dieser Trend setzt sich bis heute fort, die Grundrisse der Küchen wurden in den letzten Jahrzehnten zunehmend größer. Die zeitgenössische Küchenplanung integriert Kochen und Essen in einem, zuweilen großzügig angelegten Raum. Küchen mit zentraler Kochinsel und riesigem Dunstabzug weisen der Zubereitung von Speisen einen hohen Stellenwert zu. Zumindest vom Design her. Denn nicht selten degeneriert die Küche zum Statussymbol und wird höchstens an Wochenenden oder für Partys benutzt, während unter der Woche mittels Mikrowelle aufgewärmtes Convenience Food auf den Tisch kommt.
Rostfrei.
Die gerätetechnische Grundausstattung aus Herd mit Backrohr, Kühlschrank, Kaffeemaschine und Mixer blieb über Jahrzehnte mehr oder weniger unverändert. In dem einen oder anderen Haushalt fand man bereits in den 1970er Jahren schon einmal eine Tiefkühltruhe, auch einen Geschirrspüler, ein Jahrzehnt später hie und da sogar einen Mikrowellenherd. Der Schnellkochtopf, die "Flotte Lotte" und Messer aus rostfreiem Stahl waren Küchenutensilien, die den stabilen Vorgaben der Sinnhaftigkeit und nicht dem wenig zuverlässigen Auf und Ab der Mode folgten.
Doch auch die Küche, dieser scheinbare Hort der Beständigkeit, war der Unruhe des Forschergeists und den Unbilden der Entwicklungsabteilungen ausgesetzt, sodass technologisch-reformatorische Bestrebungen für Erschütterung in Millionen von Kochkönig(innen)reichen sorgten. Plötzlich waren sie da, die vielteiligen Küchenmaschinen, die rühren, kneten, mixen, pürieren, faschieren, reiben, Säfte pressen und Gemüse passieren können. Ihre Multifunktionsarme wurden mit verschiedenen Antrieben ausgestattet, die wiederum in zehn und mehr Geschwindigkeitsstufen ihre Arbeit verrichten. Sie verfügen über integrierte Waagen, sind über einen Timer programmierbar und scheinen den Hausfrauen ein zweckorientiertes elektr(on)isches Heinzelmännchen und den featureverliebten Männern ein die Kochbegeisterung steigerndes Spielzeug zu sein. Knethaken, Rührbesen, Spatel, Teigschneider und Schlagbesen klingt dann auch eher nach Werkzeugkoffer als nach Bestecklade. Praktisch, so hört man nahezu allerorten, seien sie jedenfalls, in der Regel auch robust, und wenn man sie einmal besitzt, aus dem Haushalt nicht mehr wegzudenken.
Eine ebensolche Selbstverständlichkeit stellt der traditionelle Herd dar. Doch im Gegensatz zu vor gar nicht so langer Zeit tun es drei oder vier Kochplatten und ein auf Ober- oder Unterhitze einzustellendes Backrohr nicht mehr. Ceranfeld ist längst schon state of the art und der Wärmebereich in Koch-, Bräter-, Zweikreiszonen und Blitzplatten eingeteilt. Sie sind programmierbar und verfügen über eine selbständige Abschaltfunktion. Backrohre erfreuen sich geradezu höllischer Hitzevarianten wie beispielsweise Großflächengrill, Singlegrill, Umluftgrill, Pizzastufe, 3D Heißluft und separater Unterhitze. Touch-Control-Bedienungen machen Drehschalter überflüssig, und moderne Backrohre ersparen einem das Putzen. Sie werden mit hoher Temperatur aufgeheizt, die Rückstände bröseln von den speziell beschichteten Innenwänden ab, zu guter Letzt sind die am Boden angesammelten Krümel nur mehr aus dem Rohr zu fegen. An der Nutzung von Gas oder Strom entzünden sich wahre Glaubensfragen, für deren Klärung hier der Platz fehlt. Eine zunehmend größere Fangemeinde scheint der Induktionsherd zu finden, der auf Basis magnetischer Wechselfelder Speisen erhitzt. Die Technologie weist eine geringe Verlustenergie, aber ein gewisses Gefährdungspotenzial für Herzschrittmacher auf. Der Berliner Medical-Produzent Biotronik empfiehlt seinen Patienten, einen Mindestabstand von 40 Zentimetern einzuhalten.
Geradezu ins Schwärmen geraten Küchenaficionados, wenn sie das Wort Dampfgarer hören. Mit glänzenden Augen berichten sie vom vitaminschonenden Garen von Gemüse, von Knödeln, die man zu ihrer Zubereitung nicht mehr in den Wassertopf geben müsse, und von Kuchen, die beim Backen nicht austrocknen. Vollends in Entzücken versetzt sie der Kombidämpfer, jenes Zaubergerät, in dem man auf der einen Ebene den Fisch und auf einer anderen den Zwetschkenfleck zubereiten kann, ohne dass der eine den Geruch vom anderen annimmt.
Wo die Berufstätigkeit Mann und Frau in ein enges Zeitkorsett presst, ist der Griff zu Fertigprodukten verlockend. Das Angebot ist vielfältig, eine rasche Zubereitung garantiert der mittlerweile in nahezu jedem Haushalt, Büro und Sozialraum zu findende Mikrowellenherd. Die Zuwachsraten dieses Küchengeräts, zu dem den meisten ungefragt das Attribut "praktisch" einfällt, müssen in den letzten drei Jahrzehnten enorm gewesen sein.
Entgegen diesem Trend finden mehr und mehr Menschen wieder Freude an Selbstgemachtem. Nicht bloß an den dazu für gewöhnlich assoziierten Produkten wie Marmelade, Fruchtsirup und Mehlspeisen, sondern auch an alltäglichen Lebensmitteln wie etwa Brot und Nudeln. Der Handel hat mit den dafür benötigten Geräten längst schon die Nachfrage abgedeckt (oder geweckt?): mit der Getreidemühle, dem Brotbackofen, der Nudelmaschine. Auch Joghurt lässt sich mittels eigenen Maschinen ebenso herstellen wie Speiseeis. Im Gegensatz zu anderen Küchengeräten steht hier nicht so sehr die Arbeitserleichterung, sondern die technische Unterstützung an der Freude zur Mehrarbeit im Vordergrund. Freilich zu Gunsten einer - hoffentlich - biologisch hochwertigen Nahrung.
Im Raumschiff. Die Flut von angebotenen Küchengeräten fordert die Selektions- und Selbstbeschränkungskompetenz des Konsumenten ungemein. Eine große Elektrohandelskette suggeriert auf ihrer Web-Site, dass ein perfekter Brunch nur dann gelänge, wenn neben der Kaffeemaschine und dem Toaster auch der Sandwichmaker, Brotbäcker und Eierkocher sowie das Waffeleisen und der Entsafter benützt würden. Doch die Hersteller haben noch eine Reihe weiterer Produkten anzubieten, die meist als Ergebnis einer Schnäppchenjagd oder als vermeintlich originelle Geschenke den Weg vom Ladenregal in den persönlichen Besitz finden, dann jedoch bald in einen cucinen Schmollwinkel wandern oder bei der nächsten Privattombola verlost werden. Da wären zum Beispiel Scholkoladebrunnen, Dörrautomaten, Eiscrasher, Zuckerwattemaschinen und Popcorn-Automaten. Ein kontinuierlicher Einsatz scheitert meist an dem zu hohen Reinigungsaufwand oder einer komplizierten Handhabung. Auch Elektromesser und elektrische Dosenöffner verlieren bald ihre erkennbare Sinnhaftigkeit. Großer Beliebtheit erfreuen sich jedoch weithin der vom Energieaspekt her durchaus sinnvolle Wasserkocher und neuerdings die hinsichtlich des Müllaufkommens fragwürdigen Kaffeemaschinen, in die in Kapseln gepresster Kaffee gesteckt wird.
Für Raumschiff-Enterprise-Feeling in der Küche sorgt der Screenfridge, ein Kühlschrankwunder voller Hightech. Mittels eines automatischen Scansystems erfasst er die gelagerten Lebensmittel in einer Datenbank, registriert, wann Kühlgut aufgebraucht oder deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, und übermittelt eine daraus generierte Einkaufsliste aufs Handy. Über den in der Tür integrierten Touchscreen wird nicht nur der Kühlschrank bedient, sondern auch das Internet aktiviert, sollte Hausfrau/-mann einmal kurz eine Nachricht versenden oder nach dem Rezept fürs Dessert suchen wollen. Die Temperatureinstellung ist über das Mobiltelefon möglich, Fehlfunktionen meldet der Screenfridge per E-Mail selbständig an den Kundendienst. Dieser futuristische Eiskasten ist das Renommierprodukt des technisch Machbaren und begeistert wohl vor allem Männer. Möglicherweise verdanken wir die Durchtechnisierung der Küche dem Zusammenspiel aus Erfinderlust und der allgemein zu beobachtenden zunehmenden Kochbegeisterung der Männer. Vielleicht aber haben auch erst die vielen tollen Geräte die Küche von einer Igitt-Zone zum für Männer reizvollen Kochlabor verwandelt. Denn Frauen, so zeigt eine vom Autor durchgeführte Blitzumfrage nach den - neben Herd und Kühlschrank - sinnvollsten Küchengeräten, scheinen für Technikfetischismus wenig anfällig zu sein. Ihr Ranking ist von praxisnaher Bodenständigkeit geprägt und reiht den Geschirrspüler vor dem Stabmixer und der Multifunktionsküchenmaschine. Die vom Alltag gestellten Anforderungen scheinen offenbar also ganz von selbst das Notwendige vom Überflüssigen trennen.