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Von der Freiheit ausgesperrt

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik
Im Stil der Schlachthausarchitektur: der Grenzübergang Qalandia in Palästina.
© Zeiner

In Palästina herrscht Ernüchterung - Israels Regierung schränkt die Bewegungsfreiheit der Bewohner immer weiter ein.


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Ramallah. Mahmoud flucht. Der Autofahrer vor ihm regt den Palästinenser auf. Mahmoud ist Ende zwanzig und hat gerade einen Tag am Strand von Tel Aviv verbracht. Erlaubt ist ihm das nicht. Mahmoud bekam zwar vor einigen Jahren einmal von den israelischen Behörden das Okay, über die israelisch-jordanische Grenze auszureisen, um von Amman aus ins 2500 Kilometer entfernte Wien zu fliegen. Den Flughafen in Tel Aviv zu nutzen, ist ihm indes untersagt. Und auch an den Strand darf er nicht: Als junger Palästinenser, der im Westjordanland lebt, gilt er als potenzieller Attentäter.

"Ein Nationalstaat - nur für das jüdische Volk"

"Sicherheit" ist das große Thema Benjamin Netanjahus. Im Wahlkampf verweist Israels Premier deshalb immer wieder auf die Palästinenser: "Israel", so schrieb Netanjahu kürzlich auf Instagram, sei "nicht ein Staat aller seiner Bürger. Unserem Nationalstaatsgesetz entsprechend ist Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes - und nur das."

Im Westjordanland, das seit 1967 von Israel besetzt wird, sind die meisten Palästinenser ernüchtert. Auch von ihrer Führung erwarten sie kaum etwas. "Korrupter Haufen", murrt ein junger Mann. Eine Frau sagt, der Wahlkampf in Israel würde in Palästina kaum jemanden interessieren: "Wir rechnen mit Netanjahu oder jemand noch Extremerem." Was die meisten hier umtreibe, sei der Kampf, das tägliche Leben zu finanzieren und zu meistern.

In der Westbank gibt es 705 permanente "Hindernisse" für Palästinenser, wie OCHA, das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, im Juli 2018 ermittelte. Sie liegt um drei Prozent höher als im Dezember 2016, schreiben die OCHA-Autoren auf der Webseite. Hindernisse" bedeuten Kontrollposten, Straßensperren, Blockaden, Erdwälle, Schranken, Gräben. An den Checkpoints entlang der Mauer oder an den Straßen, die ins von Israel ebenfalls okkupierte Ostjerusalem führen, fänden durchgehend strikte Kontrollen statt, und nur jene, die eine spezielle Erlaubnis haben, dürften passieren, heißt es auf der Homepage. Dem Großteil der Palästinenser sei dies verboten.

Am Checkpoint, der das Tor nach Tel Aviv ist, sofern er geöffnet ist, wird streng kontrolliert. Mahmoud hat ein Auto von einem Bekannten organisiert, das sowohl in den drei verschiedenen Zonen der Westbank als auch in Israel fahren darf: Das Nummernschild und dessen Farbe gibt darüber Auskunft. Mahmoud ist ein wenig nervös. Aber er hat Glück. Er sieht touristisch aus. Das Auto wird durchgewunken. In Tel Aviv parkt Mahmoud den Wagen. Dann rennt er ins Meer. Am Abend schlendert er durch die Straßen wie ein Tourist. "Ich habe Lust auf Sushi", sagt er. Das ist in Tel Aviv kein Problem.

Sehnsucht nach einem ganz normalen Leben

"Wir wollen uns frei fühlen. Wir probieren deshalb alles, was geht", sagt Fathi, ein Palästinenser in Ramallah. 2005 wollte er mit einem Freund in Jerusalem ein Bier trinken gehen. Ohne über mögliche Folgen nachzudenken, seien sie über die Mauer geklettert. Sie hatten Glück, niemand bemerkte es. Nachdem Ende September 2000 die Zweite Intifada, der zweite Palästinenseraufstand, begonnen hatte, baute Israel einen "Sicherheitszaun". Von Anfang an hielt sich Israel dabei in weiten Teilen nicht an die Waffenstillstandslinie von 1949.

Während die einen Israelis froh sind über die Sperranlage, wird sie von anderen scharf kritisiert. Die Intifada habe nicht wegen der Mauer aufgehört, sagt etwa der israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard, Enkel polnischer Holocaust-Überlebender und Verteidiger palästinensischer Klienten. "Die Mauer wurde gebaut, um Land zu stehlen."

Sfard tritt dafür ein, dass die israelische Besatzung endet. Das gleiche Anliegen verfolgt "Breaking the Silence", eine Organisation ehemaliger israelischer Soldaten, die von ihren Einsätzen in den besetzten Gebieten berichten und von politischen Beschlüssen und deren Auswirkungen auf die palästinensische Bevölkerung. Dazu zählt die Entscheidung, einen Teil der Checkpoints zu privatisieren. "Die Checkpoints wurden kleiner, die Firmen wollen Geld sparen. Damit stieg aber der Druck bei den wartenden Menschen. Es gibt mehr Konflikte", sagt die Ex-Soldatin Merphie.

Qalandia, der Checkpoint, den man passieren muss, um nach Jerusalem zu gelangen, zählt hingegen zu den größeren. Doch auch hier kann es lange Wartezeiten geben. Auch der Ton der Soldaten bei den Kontrollen ist unterschiedlich. Manche grüßen freundlich auf Arabisch.

"Ich kann Ihnen sagen, wer am Checkpoint Inhaber der Bluecard oder der Greencard ist. Man sieht es an den Gesichtern", sagt ein Palästinenser in der Buchhandlung "Educational Bookstore" in der Salah-Eddin-Straße in Ostjerusalem. Hier gibt es englische und arabische Bücher, außerdem werden Muffins, Kuchen und Kaffee angeboten. Er selbst habe als Bewohner Ostjerusalems eine "Bluecard" und einen jordanischen Ausweis. Bluecard-Besitzer haben einen Aufenthaltstitel in und eine Arbeitserlaubnis für Israel, zudem gilt sie als Passerschein für die Checkpoints. Mit dem jordanischen Ausweis komme er nach Syrien und in den Libanon. Wer eine "Greencard" will, muss um eine spezielle Erlaubnis ansuchen. Bewilligt wird sie selten.

Mahmoud ist fast am Checkpoint angekommen, bald ist er wieder in Ramallah. Durch das Auto dröhnt ein Lied des australischen Musikers Tim Minchin: die "Friedenshymne für Palästina." Minchin besingt darin das Schwein und die Möglichkeit, es als friedensstiftende Verbindung zu sehen. Da weder die muslimischen Palästinenser noch jüdischen Israelis Schweinefleisch essen, könne man es doch gemeinsam nicht essen, heißt es in dem Song. Das Gemeinsame vor das Trennende stellen - eine Vision, die Netanjahu nicht teilt.