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Von der "grauen Maus" zum Blatt mit Renommee

Von Georg Friesenbichler

© Moritz Ziegler

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Fünf Chefredakteure (Rudolf Antoni, Heinz Fahnler, Peter Bochskanl, Andreas Unterberger, Reinhard Göweil). Vier Übersiedlungen (vom Rennweg 16 zum Rennweg 12 a und wieder zurück ins Haus 16, später Wiedner Gürtel 10 und schließlich Media Quarter Marx). 32 Jahre hat es gebraucht, um dies mitzuerleben, und plötzlich findet man sich als dienstältester Redakteur der "Wiener Zeitung" wieder, dessen Berufsleben sich allmählich seinem Ende zuneigt.

Diese Zeitspanne ist nicht viel für eine Zeitung, die ein 310-Jahr-Jubiläum feiern kann, aber sie genügte, um neue Technologien das Zeitungswesen revolutionieren zu lassen. Einst langten die Meldungen der Agenturen über Fernschreiber ein, die Schwarzweiß-Fotos wurden per Bildfunk übermittelt und auf speziellen Apparaten ausgedruckt. Der Bleisatz, in dem die "Wiener Zeitung" hergestellt wurde, war zwar schon damals ein Überbleibsel im tagespublizistischen Bereich, aber auch hier wurde allmählich umgestellt, in einer  Übergangsphase auf den sogenannten Lichtsatz, bis schließlich Ende der 80er Jahre die Computer ihren Weg auf die Schreibtische der Journalisten und der (damals noch wenigen) Journalistinnen fanden.

Der Wandel der "Wiener Zeitung" ging allerdings noch tiefer.  Als ich im September 1980 das Haus der Österreichischen Staatsdruckerei am Rennweg 16 betrat, um mich im von Thomas Pluch geleiteten Lokalressort dieses Blattes als freier Mitarbeiter zu bewerben, umfasste die Redaktion meiner Erinnerung nach zwölf Redakteure (Produktion und Druck oblag der Staatsdruckerei). Als ich ein knappes Jahr später selbst Redakteur wurde, hatte zuvor ein anderer Redakteur durch sein Ableben dafür sorgen müssen, dass ein Dienstposten zur Verfügung stand. Denn die "Wiener Zeitung" war ein – dem Bundeskanzleramt unterstelltes – Amt, in dem es sogar einige Beamte gab, und jeder Vertragsbedienstete bedeutete auch einen Budgetposten, um den heftig gerungen werden musste.
Dennoch gelang Chefredakteur Fahnler eine deutliche Aufstockung und damit auch eine Verjüngung des Personals. Gleichzeitig schuf Thomas Pluch, der als Schriftsteller und Drehbuchautor bekannter war als durch seine journalistische Tätigkeit, einen neuen kulturellen Schwerpunkt, mit der heute noch bestehenden Feuilleton-Beilage "extra zum Wochenende" und der einige Zeit mit Unterstützung der Zentralsparkasse erscheinenden Sonderbeilage "Lesezirkel" – ein Nachhall des politisch-kulturellen Klimas der Ära von Bruno Kreisky.

Diese Leistungen erscheinen umso bemerkenswerter, als sie keineswegs mit einem deklarierten politischen Willen zum Ausbau der Zeitung einherging. Im Gegenteil: Die herstellende Staatsdruckerei war vor allem an den Einnahmen aus dem "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" interessiert, und der Herausgeber, die Republik Österreich, scheute sich, mit Hilfe der amtlichen Einschaltungen eine Konkurrenz zu den Tageszeitungen  großer Medienkonzerne zu schaffen. Vor Angriffen schützte diese defensive Haltung dennoch nicht: 1989/1990 stand die "Wiener Zeitung" vor der Einstellung, als der Wirtschaftsminister der SPÖ-ÖVP-Regierung, Wolfgang Schüssel, die Zeitung ihres Amtsblattes berauben wollte. Nur mit Hilfe der von der Redaktion alarmierten Öffentlichkeit und vor allem des damaligen Finanzministers Ferdinand Lacina konnte diese Gefahr abgewendet werden.

Erst als 1997 die "Wiener Zeitung" als eigenständige GmbH aus der wenig später privatisierten Staatsdruckerei herausgelöst wurde, konnte in kleinen Schritten das Image der "grauen Maus" abgestreift werden. Die Verantwortlichen in Chefredaktion, Geschäftsführung  und Belegschaft hatten allerdings weiter hart gegen das Desinteresse der Politik oder gar deren Feindschaft gegenüber dem Blatt zu kämpfen und konnten dabei schließlich sogar Erfolge verzeichnen: Ironischerweise war es ausgerechnet Wolfgang Schüssel, nunmehr Bundeskanzler einer schwarz-blauen Regierung, der in einem Ministerratsvortrag und auch bei der 300-Jahr-Feier des einstigen "Wiennerischen Diariums" ein Bekenntnis zum Fortbestand der Tageszeitung ablegte – ein Umstand, der den Sparzwängen zum Trotz den weiteren Ausbau der Redaktion unter Peter Bochskanl, dessen Stellvertreter zu sein ich die Freude hatte, gewiss erleichterte.

Neben Schüssel wandelte sich noch ein weiterer konservativer Kopf vom Saulus zum Paulus: Andreas Unterberger, der als Chefredakteur der "Presse" noch gegen angebliche Privilegien der "Wiener Zeitung" gewettert hatte, wurde 2005 zum Chefredakteur seines einstigen Feindbilds bestellt und kämpfte nun für statt gegen das Blatt – mit durchaus neuen Methoden: War der Werbeslogan der Zeitung kurz vor seinem Amtsantritt noch auf "Fakten statt Meinung" festgelegt worden, um den Versuch einer um Ausgleich bemühten Objektivität zu unterstreichen, wurde er danach alsbald auf "Fakten und Meinung" geändert, da der neue Chefredakteur Wert auf prononcierte und durchaus Widerspruch erregende Kommentare und Kolumnen legte – eine neue Tradition, die sein Nachfolger Reinhard Göweil fortführt und gleichzeitig eigene (an anderer Stelle erläuterte) Akzente setzt.

Gegenüber dem Dutzend Redakteure von 1980 und einer Handvoll freier Mitarbeiter vor allem im Kulturressort zählt die Redaktion heute 67 Angestellte, die von etlichen freien Mitarbeitern und Korrespondenten und natürlich noch von Technik und Verwaltung unterstützt werden.

Besser als diese Zahlen veranschaulicht aber vielleicht ein anderer Umstand den veränderten Stellenwert der "Wiener Zeitung" in der Medienlandschaft: War das Blatt früher für junge Journalisten oft lediglich Startrampe für eine Medienkarriere, zieht es heute immer öfter renommierte Journalisten zur ältesten Tageszeitung der Welt.

Georg Friesenbichler ist Redakteur der "Wiener Zeitung".