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Von der HAK in die Intensiv-Betreuungsgruppe

Von Petra Tempfer

Politik

Die 19-jährige Michaela Imhoff hat sich für ein Jahr Behindertenarbeit entschieden.


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Wien. Ohne verständliche Worte, dafür umso herzlicher begrüßt Karl M. die 19-jährige Michaela Imhoff. Liebevoll klopft er auf ihren Kopf und lacht laut auf. Karl M. sitzt im Rollstuhl, sein Alter ist schwer einzuschätzen. Er ist um vieles älter als Imhoff - und dennoch scheinen beide auf einer Wellenlänge zu schwimmen.

Ohne Worte verstanden werden: Michaela Imhoff weiß, was ihr Johann G. sagen möchte.
© David Miklas

Dass Imhoff Karl M. erst seit eineinhalb Monaten betreut, ist kaum vorstellbar. Die 19-Jährige hat mit Oktober ihr Freiwilliges Soziales Jahr in einem Wohnhaus der "Behindertenhilfe Bezirk Korneuburg" in Oberrohrbach (Niederösterreich) begonnen, davor eine Handelsakademie absolviert. Zwischen Betriebswirtschaftslehre und Behindertenbetreuung liegen zwar Welten - für Imhoff scheint das allerdings kein Problem zu sein. Denn obwohl die meisten behinderten Erwachsenen in der Intensiv-Betreuungsgruppe nicht mit Worten, sondern Lauten und Gesten kommunizieren, versteht sie sie.

"Du möchtest, dass ich Dir die Musik einschalte? Warte, ich mach’ es gleich", antwortet sie soeben Karl M., der in immer kürzeren Abständen zuerst auf ihren Unterarm klopft und dann auf die Musikanlage im Regal des Aufenthaltsraumes zeigt.

Rituale und Schutzhosen

Als sich Imhoff umdreht, um zum CD-Player zu gehen, versperrt ihr Franz T. den Weg. Der etwa 50-Jährige hält ihr aufgeregt seine Brille entgegen und zeigt immer wieder auf sie. Obwohl es bei dem Wort, das er zu formulieren versucht, bei Lauten bleibt, greift Imhoff zielbewusst zur Brille, klopft auf das gelb getönte Glas und gibt sie Franz T. zurück. Dieser setzt sie zufrieden auf, zieht noch genussvoll seine Hosenträger fest und lässt Imhoff ihren Weg zur Musikanlage zu Ende führen.

Franz T. wird das Ritual, die seiner Ansicht nach kaputte Brille durch Klopfen reparieren zu lassen, an diesem Spätnachmittag noch einige Male wiederholen. Imhoff verliert nie die Geduld. 34 Stunden pro Woche ist sie in der 10-köpfigen Intensiv-Betreuungsgruppe im Einsatz, bekommt dafür 220 Euro im Monat sowie die Familienbeihilfe. Da Imhoff eigentlich aus dem Bezirk Gänserndorf kommt, wohnt sie auch in der Einrichtung der "Behindertenhilfe". In mehreren Blöcken muss sie Schulungen absolvieren, bei denen sie etwa lernt, wie man bei Erwachsenen die bei Inkontinenz getragene Schutzhose wechselt, ihnen die Zähne putzt oder beim Baden hilft.

Aus dem Bad, nur wenige Schritte vom Aufenthaltsraum entfernt, kommt gerade Angela N. Sie trägt einen Fahrradhelm auf dem Kopf und drückt einen weißen Stoffhund an sich. Auf ihrer Stirn fällt ein frisch verheiltes Cut auf. "Ich bin vom Bett gefallen", erzählt sie Imhoff sinngemäß und zeigt ihr auch gleich einen blauen Fleck an der Schulter. "Vielleicht ein epileptischer Anfall", murmelt Imhoff mehr zu sich selbst als zu Angela N., die wegen ihrer epileptischen Anfälle den Helm trägt. Erschöpft lässt sie sich schließlich auf der dick gepolsterten Couch nieder, die sich in eine Nische des Aufenthaltsraumes schmiegt.

Für Imhoff wird es langsam Zeit, das Abendessen zu holen. Einige Bewohner wird sie füttern müssen, danach mit ihnen auf die Toilette gehen und sie schlafen legen. Gewisse Handgriffe, wie etwa das Einsetzen einer Magensonde, dürfen nur Mitarbeiter mit Pflegehelfer-Ausbildung machen. Fühlt sich ein FSJ-Absolvent zum Beispiel mit dem Wechseln der Schutzhose überfordert, muss er es nicht tun - er darf sich auf das beschränken, was er sich zutraut. Falls er mit gewissen Situationen - etwa, wenn aggressive Bewohner mit Gegenständen werfen - nicht umgehen kann, stehen ihm Vertrauenspersonen zur Seite.

Von Aggressionen ist in Imhoffs Gruppe nichts zu merken. Vielmehr von einem tiefen Bedürfnis nach Zuwendung. Johann G. etwa, der still auf der Couch mit einer Plastikkette gespielt hat, steht unvermittelt auf. Er scheint etwas zu suchen. Imhoff versteht, geht zu ihm und schließt ihn in ihre Arme. Johann G. ist blind - mit Imhoffs Hilfe hat er gefunden, was er gesucht hat.