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Von der kontrollierten Schulautonomie

Von Marian Heitger

Gastkommentare

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Unverschämter und dümmlicher konnte sich das Gerede von der Schulautonomie, von der Absicht der neuen Schule, die jungen Menschen zu kritischen, selbständig handelnden Personen zu erziehen nicht selbst entschleiern können.

Da ruft eine Schülervertretungsgruppe zum Boykott der Beantwortung der Pisa-Erhebung auf, und der im Auftrag der Ministerin handelnde Kontrolleur droht der Schülervertretung mit einer "millionenschweren" Klage vor Gericht. Unabhängig davon, ob und wie jene Befragungen überhaupt Relevantes über den Bildungsstandard unserer Schüler etwas aussagen, und unabhängig von dem möglichen Missbrauch dieser Daten für parteipolitische und ideologische Zwecke scheint das Bildungsdenken an einem kaum noch zu unterbietenden pädagogischen Tiefpunkt angekommen zu sein.

Das sich als pädagogisch relevant handelnd verstehende Unternehmen weiß keinen anderen Ausweg zur Durchsetzung seines Vorhabens, als mit dem Gericht zu drohen, und die eingeschüchterten Schülervertreter nehmen unter dem Druck hoher Geldstrafen ihren Aufruf zurück.

Klagen wollte der Leiter des Bildungsinstitutes Bifie. Jenes Institut ist unmittelbar dem sozialdemokratisch geführten Unterrichtsministerium unterstellt. Deshalb verwundert die angedrohte Gerichtsklage umso mehr. Denn gerade die Sozialdemokratie hat das Attribut des Kritischen immer besonders geschätzt. Aber vielleicht ist das heute nur ein Vorwand, um die Ausübung von Macht zu verschleiern.

Außerdem sind die Erhebungen nicht gerade billig: die Erarbeitung der Fragebögen, die Erhebung selbst, und dann noch die Auswertung. Vielerlei gut bezahlte Arbeitsstellen sind damit verbunden. Es ist verwunderlich, dass noch keine der in Opposition stehenden Parteien einen finanziellen Kontrollbericht gefordert hat. Aber all das löst nicht die pädagogische Empörung aus. Sondern vielmehr die Verweigerung eines Dialogs, der Ersatz der Argumente durch die Androhung von gerichtlich verhängten Strafen gegen junge Menschen, die natürlich in Angst geraten sind.

Auffällig schnell hat der Direktor jenes Institutes, das sich auch noch pädagogisch nennt, diese seine Androhung fallen gelassen. Rechtsgelehrte haben ihm offensichtlich die Unsinnigkeit seines Strafbegehrens klarmachen können. Ob man auch die hinter diesem Versuch auszumachende Sicht von Bildung und Pädagogik eingesehen hat, ist zu bezweifeln.

Auffällig schnell hat auch der ORF seine Berichterstattung darüber eingestellt, wohl um jenes Vorhaben nicht noch mehr zu blamieren. Die Bürger sollten jenen Angriff auf die Freiheit und die Absicht kritischen Denkens nicht so schnell vergessen.

Marian Heitger ist Erziehungswissenschafter und emeritierter Professor an der Uni Wien.