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Der britische Premierminister Tony Blair hat in den vergangenen Tagen "ein außerordentliches Auf und Ab an Emotionen" durchgemacht, wie er am Wochenende in einem BBC-Interview einräumte. Nur wenige Stunden nach dem Jubel über den Überraschungssieg Londons bei der Vergabe der Olympischen Spiele 2012 war Blair mit dem schwersten Terroranschlag in der britischen Geschichte konfrontiert. So sehr ihn die Anschlagsserie menschlich getroffen haben mag, politisch steht er nun wieder so gut da wie schon lange nicht mehr.
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Vor wenigen Wochen noch politisch totgesagt, wird Blair nun sogar mit Winston Churchill verglichen. Tatsächlich ist es Blairs Mischung aus Besonnenheit und Entschlossenheit, die Erinnerungen an den legendären Kriegspremier weckt. Selbst Oppositionsführer Michael Howard war bei der Unterhausdebatte am Montag voll des Lobes für Blair. Er könne die ruhige Art, wie der "Staatsmann" Blair auf die Anschläge reagiert habe, "nur bewundern".
Das Popularitätshoch nach den Anschlägen ist aber nur der jüngste Mosaikstein in dem bemerkenswerten politischen Comeback, das Blair seit seinem desaströsen Abschneiden bei der Unterhauswahl im Mai gestartet hat. Damals hatte die Labour Party mit nur 35 Prozent der Stimmen das schwächste Ergebnis einer Regierungspartei in der Geschichte des britischen Parlamentarismus verbucht.
Angesichts des massiven Denkzettels für sein unpopuläres Irak-Engagement forderten selbst hochrangige Minister den Regierungschef auf, sein Amt bald an den beliebteren Schatzkanzler Gordon Brown zu übergeben.
Dass Blair nur noch eine "lahme Ente" ohne politischen Gestaltungsraum war, galt als ausgemacht.
Mit gefinkelten taktischen Schachzügen gelang es ihm aber in den vergangenen Wochen, das Gesetz des Handelns wieder an sich zu reißen. Wie viele seiner europäischen Kollegen setzte er dazu auch auf EU-skeptische Töne, die in Großbritannien traditionell auf besonders gutes Echo stoßen. So stoppte Großbritannien nach dem Nein von Franzosen und Niederländern zur EU-Verfassung als erstes Mitgliedsland den Ratifizierungsprozess.
Mitte Juni trug Blair dann noch maßgeblich zur Vertiefung der EU-Krise bei, indem er nach einem dramatischen Gipfel-Tauziehen die Finanzverhandlungen 2007-2013 zum Scheitern brachte.
Ein denkbar schlechter Start für die britische EU-Ratspräsidentschaft, doch das Image des Buhmanns schüttelte der britische Premier in atemberaubender Schnelle ab. Meisterhaft modelte er die Kritik am milliardenschweren britischen Beitragsrabatt zu einer Debatte über die Verringerung des EU-Agrarbudgets um. Im Nu wurde aus dem Egoisten ein Reformer, der selbst vor "Heiligen Kühen" der Union nicht zurückschreckt.
Nur wenige Tage nach dem Gipfeldebakel applaudierten die Europaparlamentarier Blairs Antrittsrede als Ratsvorsitzender, mit der er rhetorisch brillant für tief greifende wirtschaftliche Reformen in der Union warb.
Nicht einmal das angeblich "perfekte Timing" der Terroristen konnte Blair etwas anhaben. Einen Tag nach der Anschlagsserie in London feierte Blair beim G-8-Gipfel im heimischen Schottland seinen jüngsten Triumph, als er eine massive Aufstockung der Afrika-Hilfe verkünden konnte. Das Bild vom mitfühlenden Reformer, der eine bessere Welt schaffen will, ohne sich ihren Realitäten zu verschließen, ist nun perfekt. APA