Zum Hauptinhalt springen

Von der Macht der Aussprache

Von Judith Schmitzberger

Kommentare

Eine Britin aus Gloucester spricht nach einem Migräneanfall mit französischem Akzent. Sie wird seither für eine Französin gehalten. Ähnlich geht es einer Landsfrau aus Plymouth, die seit einer schweren Migräne-Attacke wie eine Chinesin klingt. Mit den jeweiligen Sprachen haben diese Veränderungen nichts zu tun. Die vermeintliche Chinesin spricht kein Chinesisch und hat China nie bereist.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wissenschafter nennen diese Erkrankung, die normalerweise mit einem Hirnschlag in Verbindung gebracht wird, das Fremdsprachen-Akzent-Syndrom. Es handelt sich um einen seltenen Sprachfehler, der Worte so klingen lässt, als wären sie mit Akzent gesprochen.

Einer der ersten bekannten Fälle dieser Erkrankung sagt viel über unseren Umgang mit Sprache aus. Und darüber, wie wir Mitmenschen anhand ihrer Art der Artikulation beurteilen. Und sogar verurteilen: Wer anders spricht, wird anders behandelt. Dem Ohr wird dabei mehr Vertrauen geschenkt als dem Auge - es ist das einzige Sinnesorgan, das sich nicht restlos verschließen lässt. Wegschauen ist leichter als weghören. Beides nicht ratsam. Bei einem dieser ersten dokumentierten Fälle handelte es sich um eine Norwegerin. Sie sprach nach einer Kopfverletzung 1941 plötzlich mit deutschem Akzent. Die Frau bekam Probleme in ihrer Gemeinde, weil sie für eine deutsche Spionin gehalten wurde.