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Von der Ostsee ins Schwarze Meer

Von Petra Bruder

Wirtschaft

Der im Rahmen der Transeuropäischen Transportnetze geplante Donau-Elbe-Oder-Kanal (DOEK), der Schiffstransporte von der Nord- und Ostsee ans Schwarze Meer ermöglichte, wäre auch für Österreich und den Wiener Hafen bedeutend. Die Probleme und Widerstände sind freilich groß. Das ehrgeizige Projekt spukt schon seit fast 300 Jahren in den Köpfen kühner Planer und Visionäre herum, gewinnt aber durch die EU-Osterweiterung im Mai 2004 neue Brisanz und möglicherweise eine realistische Chance auf Verwirklichung.


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Immerhin findet sich der Plan sogar im Beitrittsvertrag zwischen Brüssel und Prag verankert, was einen Rechtsanspruch bedeutet, über dessen praktische Umsetzbarkeit damit freilich nichts gesagt ist.

Eine EU-Expertengruppe unter dem früheren Kommissar Karel Van Miert hat in einer Studie, die am 30. Juni der amtierenden Kommissarin Loyola de Palacio übergeben wurde, im Hinblick auf die neuen Beitrittsländer in Zentral- und Osteuropa dringend empfohlen, die Transportnetze so auszubauen, dass sie spätestens 2020 fertig werden. Auch in diesem Papier ist der Elbe- Oder- Donaukanal erwähnt.

Die Finanzierung des nunmehr auf 7 Milliarden Euro geschätzten Projektes (ursprünglich waren 3, dann 6 Milliarden veranschlagt worden), das die Nordsee (über die Elbe und Moldau) und die Ostsee (über die Oder bzw. March) mit der Donau als schiffbarer Wasserweg verbinden würde, ist aber keineswegs gesichert. Ohne Finanzierungshilfen von Seiten der EU wäre keines der beteiligten, aber interessierten Länder in der Lage, die entsprechenden Summen auch nur für den Bauabschnitt im eigenen Lande aufzubringen. Derzeit ist davon die Rede, dass Brüssel 85 bis 90 Prozent der Gesamtkosten finanzieren würde.

Wirtschaftliche Vorteile

Die wirtschaftlichen Vorteile eines solchen Wasserwegs von der Nord- und Ostsee an das Schwarze Meer sind nach Ansicht der Befürworter offenkundig, da die Frachttarife per Schiff - im Vergleich zu Bahn oder Straße - pro Kilometer jedenfalls günstiger sind. Auch ökologisch gilt (besonders je länger die Strecke) der Transport per Schiff als die umweltfreundlichste Variante: Mit einer Leistung von 1 PS können auf der Straße 150 kg, auf der Schiene 500 kg, auf dem Wasser aber 4000 kg bewegt werden. Demnach entspricht der Energieverbrauch pro Tonnenkilometer auf dem Wasserwege beförderter Güter einem Sechstel des Verbrauchs auf der Straße und der Hälfte dessen auf dem Schienenwege.

Externe Kosten

Darüber hinaus kann ein Binnenschiff nach 50 oder mehr Jahren des Einsatzes vollständig wiederverwertet werden. Eine Prüfung der durch die verschiedenen Verkehrsträger verursachten externen Kosten (Unfälle, Luftverschmutzung, Klimawandel, Lärmemissionen, Verkehrsstau, Beeinträchtigung der Landschaft und der städtischen Umwelt) durch die EU-Experten hat ergeben, dass diese zu 91,5 Prozent durch den Straßenverkehr, zu 6 Prozent durch den Luftverkehr, zu 2 Prozent durch den Schienenverkehr und nur zu 0,5 Prozent durch die Binnenschifffahrt verursacht werden.

Trotzdem nimmt der Schiffstransport auf Binnengewässern, ungeachtet der politischen Zielsetzungen der EU in der Gemeinschaft kontinuierlich ab, während das Frachtaufkommen insgesamt zunimmt.

Für die Tschechische Republik, die durch die 1993 vollzogene Trennung von der Slowakei auch den direkten Zugang zur Donau verloren hat, wäre der geplante Kanal darüber hinaus eine Wieder-Einbindung in das europäische Wasserverkehrsnetz, das - angesichts der sich stürmisch entwickelnden produzierenden Industrie im Lande - von großer Dringlichkeit ist.

Planung mit Sitz in Prag

Es verwundert daher nicht, dass die für die Planung des Projektes zuständige Donau-Oder-Elbe-Vereinigung ihren Sitz in Prag hat. "Die Tschechische Republik wird 2004 das einzige EU-Land sein, das im wahrsten Sinne des Wortes ein Binnenland ist, ohne Zugang zum Meer und ohne grenzüberschreitende Binnenschifffahrt auf Flüssen," klagt etwa Jaroslava Kubecova, die Direktorin der Vereinigung.

Um aber in den Genuss der Finanzmittel aus dem EU-Kohäsionsfonds zu kommen, die eine Verwirklichung des Projektes erlauben würde, müssten zumindest drei der beteiligten Länder (also zum Beispiel Österreich, die Tschechische Republik und die Slowakei, oder auch Polen oder Deutschland) die Initiative ergreifen und einen formellen Antrag stellen.

Brüssel wohlwollend

Laut Christian Bourgin von der EU-Botschaft in Prag, steht Brüssel dem Projekt insgesamt wohlwollend gegenüber, weil der Wassertransport als eine "wirtschaftliche und ökologisch sinnvolle vor allem aber nachhaltige Methode" angesehen wird, "die Straße und Schiene entlastet". Zusätzlich käme als "Bonus" noch der Hochwasserschutz hinzu, was von Umweltschützern freilich heftigst bestritten wird.

Im derzeitigen Planungsstadium ist die genaue Route noch nicht festgelegt. Es gibt für die Verbindung Donau-Oder eine österreichisch-slowakische Variante (Wien-Angern an der March-Jakubov-Kuty), eine rein österreichische Variante (Wien-Angern an der March-Hohenau) und eine rein slwoakische (Devinska Nova Ves-Jakubov-Kuty), die vor allem den Grenzfluss March nützt.

Bedenken der Naturschützer

Geht alles nach Plan, sollte noch im November von den Ministerien für Verkehr, Land- und Wasserwirtschaft und Umwelt in den drei betroffenen Ländern ein "Memorandum of Agreement" unterzeichnet werden. Vorausgesetzt, dass dies tatsächlich geschieht und dass die noch offenen Finanzierungsfragen gelöst werden, könnte dann bestenfalls 2006 oder 2007 mit den Vorarbeiten für den Kanalbau begonnen werden.

Natürlich gibt es schon jetzt organisierten Widerstand von Naturschützern, die massive Eingriffe in die Aulandschaften, Schutzräume, naturbelassenen Überschwemmungsgebiete und Biotope entlang der betroffenen Flüsse fürchten, die ihrer Meinung nach auch im Widerspruch zu geltenden EU-Richtlinien (Wasserrecht, Habitat etc.) stehen.

Die bisher umfangreichste Studie über die ökologischen und ökonomischen Folgen wurde von Jan Zeman vom Tschechischen Umweltinstitut vorgelegt. Demnach würde das Projekt

l die mährischen und slowakischen Flusslandschaften massiv verändern und der Natur einen derzeit noch unabschätzbaren, aber jedenfalls "irreversiblen Schaden" zufügen;

l würde die Wasserqualität der Flüsse und des Grundwassers beeinträchtigt und zudem die Gefahr von Überschwemmungen größer werden;

l wäre das Projekt auch wirtschaftlich fragwürdig, weil die Baukosten viermal höher werden als etwa eine leistungsfähige Schienenverbindung, die ökologisch denselben Vorteil brächte;

l an beiden Seiten der Oder befinde sich zudem ein Eisenbahnnetz, das mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand erneuert und ausgebaut werden kann. Die Schifffahrt auf die Oder habe seit der Wende 1989/90 eher ab- als zugenommen.

Die Studie Zemans war vom Tschechischen Umweltminister Libor Ambroziak in Auftrag gegeben worden, der sich mehrmals öffentlich sehr kritisch über das Kanalprojekt geäußert hat. Es gibt im nördlichen Nachbarland freilich auch massive Befürworter, seien es Regionalpolitiker, sei es etwa das Transports- oder Wirtschaftsministerium.

WWF-Studie

Im Auftrag des WWF Österreich und des WWF International (Donau-Karpathen-Programm) wurde eine 40seitige Studie erstellt, die ebenfalls negative ökologische Auswirkungen sieht und auch ökonomisch argumentiert. Notwendig wäre der direkte oder indirekte Eingriff auf rund 400.000 Hektar in 61 Schutzgebieten (darunter 2 Nationalparke und 6 "Ramsar*-Gebiete").

Dies wäre, so der WWF, "die größte konzertierte Naturzerstörung im modernen Europa". Die Verbindung von der Donau zur Nordsee und zur Ostsee wäre aber auch von seiner Kosten-Nutzen-Relation her sehr fragwürdig.

* 1971 wurde in der kleinen iranischen Stadt Ramsar das "Übereinkommen über Feuchtgebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel, von internationaler Bedeutung" unterzeichnet. In Österreich, das seit 1983 dabei ist, gibt es derzeit 10 "Ramsar-Gebiete", mit der Teich-, Moor- und Flußlandschaft im Waldviertel und den Donau-March-Thaya-Auen befinden sich 2 davon in Niederösterreich. Feuchtgebiete werden hier als wichtiger Bestandteil des Naturhaushaltes, als wesentliche Regulatoren für den Wasserhaushalt und als unersetzlichen Lebensraum für eine besondere Pflanzen- und Tierwelt, vor allem der Wasser- und Watvögel erhalten.

Das Projekt und seine Grunddaten

Gesamtlänge der Wasserstraße: 1.630 Kilometer, davon 40 auf niederösterreichischem Boden, in der Tschechischen Republik 381 Kilometer

Jährliche Betriebskosten: 58.75 Millionen Dollar

Jährliche Gesamttransportleistung: 72 bis 79 Millionen Tonnen

Geplante Brücken: 126

Weiters: 73 bis 83 Staustufen, 2 bis 3 Hebewerke, 2 bis 3 Tunnel

Eingriff auf rund 400.000 Hektar in 61 Schutzgebieten

Insgesamt müssten 490 Meter Höhenunterschied überbrückt werden. Damit sind technische Leistungen gefordert, die einmalig wären, weil Schiffshebewerke in Höhen reichen müßten, die noch nie gebaut wurden.

Die Idee eines Donau-Oder-Kanal stammt übrigens angeblich bereits aus dem 14. Jahrhundert Tatsächlich realisiert wurden auf österreichischem Gebiet davon nur einige Kilometer Kanalbett in der Lobau und im südwestlichen Teil des Marchfelds in den Jahren 1939-43. Die im Gemeindegebiet von Groß-Enzersdorf liegenden Abschnitte des Donau-Oder-Kanals dienen seit 1960 als Badegewässer und wurden teilweise an den Ufern verbaut (Mariensee).

Auf tschechoslowakischer Seite gab es vor dem Zweiten Weltkrieg in Ansätzen bereits ebenfalls die Idee für einen solchen Kanal. So wurde 1939 ein schmaler Kanal zu bauen begonnen, der Teile der March nützte, um den "Schuhkönig" Tomas Bata und seine Musterstadt und Fabrik in Zlin mit Kohle zu versorgen.

Noch früher, 1938, hatte Nazi-Deutschland mit der Tschechoslowakei sogar den Bau eines Donau-Oder-Kanals "innerhalb von sechs Jahren" vertraglich fixiert, und erste Aushubarbeiten hatten bereits begonnen.

Der Wiener Hafen und das Kanalprojekt

Der Wiener Hafen betreibt auf einer Fläche von derzeit 60.000 Quadratmeter einen der größten Container-Terminal eines europäischen Binnenhafens. Er würde sich somit auch anbieten, die industriellen Erzeugnisse aus der Tschechischen Republik oder aus Polen aufzunehmen, die über den fertiggestellten Donau-Oder-Elbe-Kanal kostengünstig geliefert werden könnten. Mit modernstem Gerät werden derzeit jährlich ca. 130.000 TEU (Container auf 20-Fuß-Basis) in der Freudenau umgeschlagen.

Über den Wiener Hafen werden heute auch jährlich ca. 60.000 Neufahrzeuge über zwei Roll-on-Roll-off-Rampen nach letztem technischen Stand an die Händler der Ostregion ausgeliefert. Konzerne wie Renault, Mitsubishi, Ford oder Mercedes nutzen bereits seit Jahren den Hafen Freudenau als logistischen Stützpunkt. Durch den Donau-Oder-Elbe-Kanal ließe sich das massiv weiter ausbauen - immerhin scheint die Region Tschechien, Südpolen und Slowakei so etwas wie das "Detroit" Europas zu werden.

Um nur zwei Beispiel zu nennen: Neben den bestehenden Werken von Skoda/Volkswagen, Bosch-Diesel und der japanischen Denso-Gruppe werden künftig Toyota und Citroen über ihr gemeinsames Unternehmen TPCA 1.35 Milliarden Euro in ein neues Autowerk nahe Kolin investieren, das 3000 Leute beschäftigen und 300.000 Autos jährlich fertigen wird. Auch der südkoreanische Hersteller Hyundai wird, wie kürzlich bekannt wurde, ebenfalls in Tschechien 1.5 Milliarden Euro in ein Fertigungswerk stecken und ebenfalls 300.000 Neuwagen für den EU-Raum produzieren. Renault baut bereits in der Slowakei ein riesiges Werk, das in zwei Jahren fertig werden wird. Opel fertigt in Gliwice (Gleiwitz) den neuen Astra II, ab 2004 sollen dort 40.000 Fahrzeuge pro Jahr vom Band rollen.