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Von der Protestbewegung zur Regierungspartei

Von Norbert Hoyer

Politik

Berlin · Als Störenfried der hergebrachten Politik waren Deutschlands Grüne vor 20 Jahren angetreten. Dass sie jetzt als Regierungspartei Geschichte schreiben, hätte mancher nicht einmal zu | hoffen gewagt, der am 12. und 13. Jänner 1980 bei der Gründung in Karlsruhe dabei war. Auf dem Weg zur Macht hat sich die Partei allerdings kräftig gewandelt.


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Chaotisch ging es bei der Gründung zu, Chaos gab es seitdem immer wieder. Richtungsstreit gehört zum Alltag der 50.000 Mitglieder, wenn auch der Konflikt zwischen ideologischen Fundamentalisten

("Fundis") und Realpolitikern ("Realos") an Schärfe verloren hat. Eine Selbstverständlichkeit blieb aber die Grundspannung zwischen Basis und Führung. Auch das gegenwärtige Spitzen-Duo aus Antje

Radcke und Gunda Röstel erfahren dies leidvoll.

"Wer regieren will, kann sich die Bedingungen nicht aussuchen", sagte Joschka Fischer einmal, der gerne als "heimlicher Vorsitzender" der Bündnis-Grünen tituliert wird. Als Außenminister und

Vizekanzler tauschte er Turnschuhe und T-Shirt gegen den Westen-Anzug. Den Marathon-Läufer kamen die notwendigen Kompromisse weniger hart an als andere.

Das deutsche Ja zur Beteiligung am Kosovo-Krieg, vom grünen Außenminister im letzten Jahr vehement vertreten, hatte die Partei vor eine weitere Zerreißprobe gestellt. Auch beim Atomausstieg,

der von den ersten Tagen an zum grünen Credo gehörte, war und ist Geduld gefragt. Das grüne "Nein danke" zur Kernkraft sollte eigentlich keinen Aufschub dulden, doch gegenwärtig wird um eine

mittelfristige Perspektive von 30 Jahren gerungen.

Eine bunte Schar hatte sich vor 20 Jahren zusammengefunden, um den Schritt ins etablierte Parteiensystem zu machen. Umweltschützer, Alternative, manch einer aus der 68er Bewegung ebenso wie

heimatlose Linke und Kommunisten waren gekommen. Nach zweitägigen heftigen Kontroversen gelangen nur der Gründungsbeschluss und das Votum über eine Präambel eines künftigen Programmes. Das Ziel einer

"Überwindung gesellschaftlicher Verhältnisse" stand neben dem Ja zur Verfassung.

Prägend war für die neue Partei, die aus der Friedens- wie der Öko-Bewegung kam, vor allem aber die Absage an den "Wachstumswahn". Nicht länger sollte alles Heil aus einem wirtschaftlichen

Wachstum kommen. Ökologische, soziale und demokratische Lebensbedürfnisse sollten endlich Vorrang haben.

"Uns eint der Wille nach mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, das Gebot einer umfassenden Verwirklichung der Menschenrechte, das Engagement für Frieden und Abrüstung, Gleichstellung von Frauen

und Männern, Schutz von Minderheiten, Bewahrung der Natur sowie umweltverträgliches Wirtschaften und Zusammenleben", heißt es jetzt im "Grundkonsens". Wie dies konkret in den Alltag zu übersetzen

ist, darüber reden sich die Bündnis-Grünen gern die Köpfe heiß. Die Streitlust ist hier besonders ausgeprägt.

Das aktuelle Grundsatz-Programm, das aber schon bald wieder grundlegend überarbeitet werden soll, nennt den Kampf für die Reformziele im Gleichklang mit der Bereitschaft zur Übernahme politischer

Verantwortung. Doch anfangs wollten auch die Sozialdemokraten von einem grünen Bündnispartner nichts wissen, in dem viele eher eine Gefahr für die Nachkriegs-Demokratie sahen.

Doch die Grünen fanden ihre Wähler. 1983 zogen sie erstmals ins deutsche Parlament ein, vier Jahre später gelang dies erneut, nur bei der ersten gesamtdeutschen Wahl im Dezember 1990

scheiterten sie an der Fünf-Prozent-Hürde. Untergangsstimmung kehrte ein, als die Aufsteiger der westdeutschen politischen Szene plötzlich "out" waren.

Vor sieben Jahren schlossen sich die Grünen mit dem ostdeutschen Bündnis 90 zusammen. Unter dem Zwang der Realitäten fielen erste "heilige Prinzipien" wie die Rotation der Abgeordneten, jener

zwangsweise Abtritt der Parlamentarier auf Grund der grünen Skepsis gegen die Macht. Anderes wie die Unvereinbarkeit von Parteiamt und parlamentarischen Mandat stehen jetzt zur Debatte, nachdem in

der Wählergunst die Kurve wieder nach unten zeigt.

Denn schon im September 1998, als der Sozialdemokrat Gerhard Schröder zusammen mit den Bündnis-Grünen die Bundestagswahl gewann, war die Partei geschwächt. Seitdem ging es bei Landtagswahlen weiter

bergab, und in Ostdeutschland stehen die Grünen auf verlorenem Posten. Als ökologische Partei müsse sie sich profilieren, wird gefordert. Doch das ist im Regierungs-Alltag und gegen lieb gewordene

Gewohnheiten der Deutschen gar nicht so einfach.