Zum Hauptinhalt springen

Von der Ratte zur Leseratte

Von Reinhold Aumaier

Kommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ein TV-Abend kann so zeitsparend sein; im Rahmen einer guten Stunde erbauen, erheitern . . . und ein bisschen verärgern. Am Dienstag gönnten wir uns kurz vor der 2er-ZiB auf 3sat den Kurzfilm "Das Haustier". Lea kriegt vom Vater zum Geburtstag eine Ratte geschenkt. Mutter sein dagegen sehr. Das Kind beginnt zu vergleichen - sieht die Menschen instinktiv, d. h. gleichsam mit tierischen Augen. Am Ende ist das Tierchen tot und der Papa fort. Doch Lea ist kein Kind von größerer Traurigkeit; sie schluckt und verdaut. Alles zusammen ergab ein feines Psycho-Kammerspiel auf engstem Zeit-Raum. Buch und Regie: Brenda Osterwalder.

Eine Viertelstunde später dann die von Leseratte, Bücherwurm und TV-Kritikaster heiß ersehnte neue Literatursendung. Ihr Titel: "Lesen!" Soll sein. Solange sie nicht mit abschreckendem Warnschild versehen ist à la "Achtung Klassik!", haben wir mit dem Befehlston kein Problem. Es geht ja wirklich um eine der wichtigsten Hauptsachen: die Hinführung zur differenzierten Weltsicht und Lebensanschauung durch Literatur. Dass da eine wie die TV-erprobte Elke Heidenreich, die das Lesen (und Schreiben) auch privat lebt, genau die Richtige ist, war von vornherein klar. Sie beherrscht die endringlich-sanfte Kunst der Überredung, hat Witz und Humor; also ihrem prominenten Vorgänger Reich-Ranicki Wesentliches voraus. Ihre Suada kommt an, die besprochenen und beworbenen Bücher gehen darin nicht unter; ein Filmbeitrag samt abschließender Kostprobe aus einem Hörbuch lockern auf. Ein Gast mit Buchtipp gehört auch dazu. Diesmal war es Harald Schmidt. Kurzum: Wer diesen "Komiker" bisher schon unerträglich gefunden hatte, bekam bei dessen rahmensprengender Ego/Solo-Nummer die letzte Bestätigung geliefert. Kleiner Tiefpunkt, nicht mehr. Denn "Lesen!" gehört, alles in allem, geseh'n!