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Das brasilianisches Aushängeschild Petrobras hört nun auf Graça.
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Rio de Janeiro. Als vor einen Monat bekannt wurde, dass die ehemalige Müll-Sammlerin, Maria das Graças Silva Foster, kurz Graça ("Gnade") genannt, die neue Vorstandsvorsitzende (CEO) des größten lateinamerikanischen Unternehmens wird, legten die Petrobras-Aktien sofort um drei Prozent zu. Obwohl es verdient wäre, waren es nicht etwa Freudensprünge ob der Tatsache, dass der bis dahin zu hundert Prozent männliche CEO-Club der Mineralölindustrie erstmals eine Frau in den Reihen aufnimmt: Nein, was die Kurse an der Börse São Paulo und an der New Yorker Nyse in die Höhe schnellen ließ, war, dass die 58-jährige Chemieingenieurin mit postgradualen Abschlüssen in Nuklearenergie und in Business-Administration die geeignetste Person ist, um einen Energiekonzern zu leiten, der zu den fünf größten der Welt zählt und mit Giganten wie Exxon Mobil und Petrochina in einer Liga spielt.
"Ich habe immer gearbeitet, um meine Familie zu ernähren, meine Mutter, meine beiden Kinder, und um meine Ausbildung zu zahlen", erklärte Graça einmal in einem Interview. Sie hätte es sich nicht leisten können, Angst vor einer Männerdomäne zu haben: "Schneid bedeutet alles für mich."
Ihre Schulmaterialien finanzierte Graça durch das Sammeln von Papier, Dosen und Flaschen, als Kind lebte sie in einem der berüchtigsten Slums von Rio. Mit 22 wurde Graça das erste Mal Mutter und schleppte ihr Baby Flavia oft mit auf die Uni, um in den Vorlesungen nicht zu fehlen. Mit 24 trat sie eine Stelle als Strategin in dem damals verhältnismäßig kleinen - und fast gleichaltrigen - staatlichen Konzern Petrobras an. Diesen hatte der langjährige Staatschef Gétulio Vargas 1953 gegründet - ohne mit Sicherheit zu wissen, ob es überhaupt Erdöl und Erdgas in Brasilien gibt. Der Konzern expandierte über die Jahre, im Landesinneren sowie auch vor der Küste wurden riesige Öl- und Gasfunde gemacht. Aufgrund der Anfangsschwierigkeiten wurde technologisches Know-how von Anfang an gefördert. Heute wird Petrobras in der Branche für sein Wissen bezüglich komplizierter Bohrungen von unkonventionellen Lagerstätten beneidet. Inzwischen ist Petrobras - zum Leidwesen diverser Umweltgruppen - auch führend in der Gewinnung und Herstellung von Biotreibstoff, ein Bereich, den Graça nach eigenen Angaben ausweiten will.
Schwestern im Geiste
Doch auch die Qualifiziertesten kommen nicht ohne Kontakte zur Politik an die Spitze eines staatlich kontrollierten Konzerns. Graça kam nicht zuletzt ihre Freundschaft mit der jetzigen Staatschefin Dilma Rousseff zugute. 1999 verhandelte Graça für die damalige Energiestaatssekretärin des südlichsten brasilianischen Bundesstaats, Rio Grande do Sul, die Verlegung einer Pipeline nach Bolivien. Seitdem kennen und vertrauen einander die beiden Frauen. Graça - davor unpolitisch - trat 2008 der Partei bei, war kurz in der Frauenbewegung von Dilmas Arbeiterpartei aktiv und ließ sich in der Zeit drei Sterne auf den Unterarm tätowieren - zwei davon in Rot, Symbol der Partei. Dilma wollte Graça auch als ihre Kabinettschefin haben, doch diesen Posten überließ der damals scheidende Präsident Lula da Silva noch einem seiner Vertrauten.
Beobachter in Brasilien sagen, Dilma und Graça seien Zwillinge im Geiste. Beide seien präzise und effizient, akzeptierten kein Nein, und hätten hohe Erwartungen an ihre Mitarbeiter. "Das macht sie zwar nicht überall beliebt, aber jeder respektiert sie", heißt es von einem Beobachter.
Die Vorstandsvorsitzende von Petrobras hat sich wiederholt gegen Frauenquoten ausgesprochen, allerdings "akzeptiere ich keine Restriktionen, nur weil ich eine Frau bin." Ihre Kinder, ihr Enkelkind, genauso wie ihr dritter Ehemann, mit dem sie seit 26 Jahren zusammen ist, "verstehen, dass meine Leidenschaft Petrobras gilt und sie unterstützen das". 2011 verzeichnete der Konzern trotz eines fünfprozentigen Rückgangs noch einen Netto-Gewinn von 18,2 Milliarden US-Dollar. 2011 betrug der Umsatz 141 Milliarden Dollar (zum Vergleich: Das ist weit mehr als das Dreifache der heimischen OMV). Bis 2015 sind Investitionen von 225 Milliarden US-Dollar vorgesehen. Das Unternehmen ist in 28 Ländern aktiv.
Dossier: Frauentag