Durch die Publikation des Interviews mit dem türkischen Botschafter und die anschließenden Kommentare änderte sich die Tagesordnung: In Österreich nahmen die Türken den ersten Platz in den Tagesordnungen ein und in der Türkei nahmen die österreichischen Medien den Platz auf der Coverseite ein. Die Antworten wurden vom türkischen Botschafter selbst gewählt und natürlich kann er im Rahmen eines solchen Interviews, das auf viele, unterschiedliche Themen eingeht, dem Ganzen nur er zustimmen.
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Bezüglich des Themas Integration, im Zuge dessen die türkische Gesellschaft ständig unter Argwohn leidet, ist das größte Problem weder die Arbeitslosenquote oder die Ghettoisierung noch ein anderes Thema. Das einzige Problem ist, dass 250.000 Türken in diesem Land keine starke Lobby besitzen.
Statt des türkischen Diplomaten, welcher diese Diskussion mit einem politischen Risiko begann, hätten da nicht besser staatliche Organisationen, Unternehmer oder Sportler einen genauso gewichtigen Schritt in diese Richtung unternehmen können? Leider reagiert die türkische Gesellschaft auf andere Probleme viel empfindlicher als auf die eigenen. Die bestehende Zusammenarbeit untern den türkischen Vereinen ist sehr schwach. Wäre die türkische Stimme, die ein Teil dieser Gesellschaft ist, deutlich genug, dann würden diese Aussagen im Rahmen des Interviews weniger Reaktionen hervorrufen.
Auf der anderen Seite zogen auch die Aussagen des türkischen Premiers über Integration in Europa dieselben Reaktionen nach sich wie die Aussagen des türkischen Botschafters Kadri Ecvet Tezcan. Europäer betrachten Migranten als ein innenpolitisches Thema und aus diesem Grund nehmen sie die Aussagen der türkischen Regierung als einen Eingriff in ihre Innenpolitik wahr. Zum ersten Mal sah ich derartig starke Reaktionen der österreichischen Politiker. Vor allem die Aussage "Fekter ist in der falschen Partei" ist meiner Meinung nach der Grund für die Härte in den Aussagen der Regierung.
Ohne das Gesamtbild der Türken zu betrachten, obwohl wir vielleicht bei 90 von 100 Themen dieselbe Ansicht teilen, erscheint das Bild aufgrund von zehn Meinungsverschiedenheiten gänzlich in Schwarz. In diesem Land sind Migranten ein Gewinn. Dies kann niemand verleugnen.
Die Lösung in dieser Thematik liegt darin, dass sich sowohl die türkische als auch die österreichische Community daran erinnern, dass sie sich im selben Boot befindet und deswegen ihre Vorurteile beiseite lassen. Die österreichische Politik ist hingegen verpflichtet, plausible Lösungen für vorhandene Probleme herauszuarbeiten. Ich denke, die aktuelle Situation stellt eine große Gelegenheit für den Dialog dar. Wir haben es nötig, einander zuzuhören.
Bisher soll kein Österreicher den Botschafter bei sich eingeladen haben, aber nach dem Interview haben sich die Einladungen gehäuft. Ein Appell an dieser Stelle auch an die Türken: Ladet Innenministerin Fekter oder Bundeskanzler Faymann zu euch ein - und diese sollten diesen Einladungen auch folgen.
Seyit Arslan ist Chefredakteur der Wochenzeitung "Zaman Österreich".