Beim Calle Libre Festival (19. bis 26. September) ist Street-Art aus Österreich und Lateinamerika zu sehen.
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Wien. Der Legende nach begann alles im New York der frühen Siebziger. Die "New York Times" berichtete damals über einen Kurier und Sohn griechischer Einwanderer, der sich bei seinen Botengängen auf Wänden in der ganzen Stadt verewigte. Sein Kürzel "Taki183" bestand aus seinem Spitznamen und seiner Adresse, der 183. Straße in Washington Heights, Manhattan.
Damit gilt er bis heute als einer der Pioniere der urbanen Kunstform. Dokumentarfilme wie "Style Wars" und "Wild Style" setzten auch anderen Inkognito-Künstlern ein Denkmal und führten zu vielen Nachahmern.
Das "Taggen" war geboren und löste einen Boom aus. Die illegale Kunst passte gut zur noch jungen Rapkultur, der es auch um ein "Hier bin ich" ging, um Aufmerksamkeit im anonymen Raum der Großstadt. Noch war die Szene männlich dominiert.
Aus der Kunstform Graffiti entwickelte sich dann die vielfältigere Street-Art. Nicht zu verwechseln ist diese mit Straßenkunst, der Ausdrucksform von Straßenkünstlern, die im öffentlichen Raum musizieren oder zaubern.
In der Gesellschaft galten Graffiti lange als verpönt und wurden als illegale Schmiererei abgetan. Street-Art umfasst heute neben Graffiti viele andere urbane, spontane Kunstformen und ist heute längst in Kunstgalerien angekommen. Sie ist gesellschaftsfähig und global.
Am Freitag startet in Wien das Graffiti- und Street-Art Festival "Calle Libre" (deutsch "Freie Straße"), das über 30 Künstlerinnen und Künstler aus Österreich und Lateinamerika präsentiert.
"Die Bilderwelten in Lateinamerika unterscheiden sich sehr von den europäischen", sagt der Veranstalter Jakob Kattner. "Der soziale und geschichtliche Kontext spielt eine größere Rolle. Dort ist Graffiti auch oft als Teil einer politischen Bewegung zu sehen, wie zum Beispiel in Oaxaca." 2006 war in der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Oaxaca ein Lehrer-Streik eskaliert. Viele andere soziale Organisationen hatten sich angeschlossen, darunter viele Aktivisten aus der indigenen Bevölkerung und den Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz gefordert. Sie nutzten Graffiti als Mittel, um zu mobilisieren und sich zu organisieren.
Mystische Landschaften
Als politisch sind die Arbeiten der argentinischen Künstlerin Zumi nicht zu bezeichnen - zumindest nicht auf den ersten Blick. Ein Reh, das einen Fuchs küsst. Ein riesiger Bär unter weißem Polarleuchten. Ein Pandabär, der bläulich zu leuchten scheint, obwohl er mit Farbe auf die Vorderwand eines verlassenen Ladens gesprüht wurde. Zumi, die mit vollem Künstlernamen Marina Zumi heißt, nutzt die Flächen, die die Stadt ihr bietet.
In ihren Bildern dominieren Blau, Türkis, Lila und Weiß. Pandas und Rehe scheinen es ihr angetan zu haben. Die Ästhetik ihrer mystischen Landschaften erinnert an die Achtziger Jahre, an Goa-Partys und Kitsch.
Die Argentinierin stammt aus Buenos Aires und betreibt in São Paolo eine Street-Art-Galerie, wo sie auch klassischere Arbeiten zeigt. Sie ist eine von drei lateinamerikanischen Künstlern, die beim Festival auch vor Ort sein werden - zwei davon sind Frauen. Neben der Argentinierin zeigen auch der Brasilianer Akuma und die ebenfalls aus Brasilien stammende Fefe Talavera ihre Arbeiten. "Wir wollten bewusst die Männerdomäne Street-Art sprengen", so der Veranstalter.
Am 20. und 21. September wird Marina Zumi am Donaukanal beim Flex ab jeweils 16 Uhr eine große Wand bemalen und sich dabei auf die Finger schauen lassen. Am 25. September folgt dann ab 18 Uhr ein Workshop im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig (Mumok), wo sie über ihren Zugang zur Kunst spricht und den Effekt, den Street-Art im urbanen Raum hat. Außerdem lädt sie junge Menschen und Jugendliche dazu ein, eigene Tier- oder Naturmotive mitzubringen, um sie beim Workshop als abstrahierte Formen in eigene Bilderlandschaften einzubauen.
Über ihren Workshop im Wiener Mumok sagte sie im Vorfeld im Gespräch mit einer brasilianischen Ausgabe des Red Bull Magazins: "Ausgerechnet ich. Dabei habe ich noch nicht mal Kunst studiert." Graffiti und Street-Art sind ursprünglich Kunstformen von Freidenkern und Autodidaktinnen. Doch unter den heutigen Künstlern findet man mittlerweile auch viele Hochschulabsolventinnen und Grafikdesigner.
Streit in der Szene
Die Subkultur hat längst den Mainstream erreicht. Diese Kommerzialisierung sei ein "Streitthema in der Szene", meint der Festival-Veranstalter Jakob Kattner. Unter den Graffiti-Künstlern gibt es viele Puristen, die der Meinung sind, dass nur klassische, mit der Farbdose gesprühte und illegale Graffiti als solches zu bezeichnen sind.
Street-Art ist per se offener und umfasst viele Kunstformen. Beim Festival werden neben klassischer Spray-Kunst auch Holzarbeiten zu sehen sein, außerdem beklebte Fliesen, Schablonen-Kunst und Moosgraffiti, welches eine Form des Guerilla Gardenings darstellt. Bei der Ausstellung, die am 19. 9. ab 19 Uhr in der Aula der Akademie der bildenden Künste beginnt, wird es außerdem auch Skulpturen und Installationen zu sehen geben.
Street-Art steht im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz. Dabei sei es im Interesse der Künstler, ihre Arbeiten publik zu machen: "Letztendlich wollen sie ja auch Geld verdienen. Gerade in Lateinamerika wird die Kommerzialisierung überwiegend positiv wahrgenommen", sagt Kattner. Von den Wiener Künstlern ist unter anderem der Sprayer und Street-Artist "busk" vertreten, dessen Schriftzug in Wien omnipräsent ist.
In Wien hatte unlängst der Prozess gegen den Schweizer Renato S. für Aufsehen gesorgt, der als "Puber" seine Schriftzüge in Wien verteilte hatte und dafür mit 14 Monaten Freiheitsstrafe wegen schwerer Sachbeschädigung, davon zehn Monate bedingt, bestraft wurde. Beim Calle-Libre-Festival sind die Künstler nur mit ihren "Sprayer-Namen" vertreten, anonym sind sie deshalb noch lange nicht.