Russland nähert sich der Europäischen Union an. Am engsten sind die Beziehungen in der Wirtschaft, obwohl hier eine große Asymmetrie herrscht. Das hat eine Bestandsaufnahme beim zweitägigen EU-Russland-Forum gezeigt, das auf Initiative der Voest Alpine in Linz stattfand und gestern zu Ende ging. Dabei forderte der letzte Präsident der Sowjetunion, Perestroika- und Glasnost-Erfinder Michail Gorbatschow, Russland solle assoziiertes Mitglied der EU werden. Für die Union bildet die Sicherheit ein großes Fragezeichen angesichts der neuen Außengrenze nach der Erweiterung Richtung Osten.
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Europa hat in der Welt auch schon Wüsten hinterlassen. Doch Gorbatschow glaubt, "dass Europa eine einzigartige Rolle als Lokomotive, als Maschine spielen kann". Die Probleme der Globalisierung, von der weltweit wachsenden Armut bis zur Erderwärmung, könnten "nur mit vereinten Kräften" geändert werden. Und da gehöre Russland eben dazu. "Europa braucht Russland, und Russland braucht Europa." Ressentiments dagegen versucht Gorbatschow, dessen Gefolgschaft zu Hause freilich auf eine verschwindend kleine Minderheit geschrumpft ist, zu zerstreuen: Auch Deutschland habe sich auf demokratischem Weg wiedervereinigt. "Wir müssen ein neues Kapitel der Zusammenarbeit öffnen." Denn: "Was auf unserem Kontinent geschieht, hat Auswirkungen auf die ganze Welt."
Ausgangspunkt und Motor für die Integration Europas sind wirtschaftliche Interessen. Die osteuropäischen Reformstaaten haben ihren Blick rasch von Moskau abgewandt und Brüssel zugewandt. Doch die wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Sicherheitsrisiken des gesamten Kontinents konzentrieren sich auf den Grenzraum der erweiterten EU. Die Gestaltung der direkten Nachbarschaft der künftigen EU und der russischen Föderation sei daher "eine Schlüsselfrage bei Aufbau einer europäischen Sicherheitsordnung", meint Friedrich Schneider, Vizerektor für Auslands- und Außenbeziehungen der Universität Linz.
Derzeit stützt sich die Zusammenarbeit EU-Russland auf zwei Säulen: 1994 wurde ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen unterzeichnet, das 1998 in Kraft trat. Russische Kommentatoren sehen darin eher eine westliche Hinhaltetaktik gegenüber Moskau. Im Jahr 2000 hat Präsident Wladimir Putin der EU eine Energieallianz vorgeschlagen. Bisher bekommt die EU bis zu 30 Prozent ihrer Gas- sowie 16 Prozent der Öllieferungen aus Russland. "Putin würde am liebsten sofort die russischen Energielieferungen nach Europa verdoppeln", erläutert Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Doch die EU möchte von einem allzu unberechenbaren Russland nicht abhängig sein. Rahr kann nicht erkennen, dass Russland mit seinem eigenen politischen System "unbedingt Teil des Westens werden" möchte. Russland werde kaum "Erziehungsregeln vom Westen" akzeptieren oder sich EU-Normen beugen.
Eine offene Wirtschaftskooperation wird aber sehr wohl gefordert. Wenngleich sich Moskau um den Aufbau einer Marktwirtschaft bemüht, fehlt es vor allem an Rechtssicherheit. Außerdem, so Rahr, fürchte der Westen "die Konkurrenz der Oligarchen". Die Direktinvestitionen russischer Unternehmen im Ausland sind denn auch größer als die ausländischen Investitionen in Russland (3,5 Mrd. Dollar gegenüber 3 Mrd. Dollar). Dennoch habe Russland in den vergangenen drei Jahren "gewaltige Erfolge" erzielt, lobt Wirtschaftsforscher Bernhard Felderer vom Institut für Höhere Studien (IHS). Obwohl Russland "von unten gekommen sei", habe etwa die wirtschaftliche Wachstumsrate im vergangenen Jahr bereits 5,2 Prozent betragen (im Vergleich 1992: minus 15 Prozent). "Das muss man anerkennen." Der Handelsbilanzüberschuss habe 2001 bereits 2,5 Prozent des BIP betragen. Doch der Transformnationsprozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Eine EU-Mitgliedschaft Russlands ist für die Experten derzeit eine Utopie. Hilfsmaßnahmen vorausgesetzt, ist aber ein Beitritt in 15 bis 20 Jahren durchaus realistisch.
Man müsse erst sehen, wohin sich die EU entwickle, meint Michail Gorbatschow. Er spricht sich gegen ein Europa als Bundesstaat aus, wie er auf eine entsprechende Frage der "Wiener Zeitung" erklärte. "Ein Bundesstaat ist nicht im Interesse aller unserer Völker." Wenn die EU darüber zu schnell hinweggehe, drohe die EU zu zerfallen. Auch das Römische Imperium sei auf seinem Höhepunkt zerfallen.