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Von der Werkbank zum Investor: Der Sprung nach vorne

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
Waltraut Urban, Wiener Institut für Internat. Wirtschaftsvergleiche. Foto: wiiw

China-Expertin Waltraut Urban im Interview. | "Wiener Zeitung": Wie lässt sich Chinas Wirtschaftssystem prägnant benennen? | Waltraut Urban: Die offizielle Bezeichnung Sozialistische Marktwirtschaft trifft die Sache recht gut: Der Markt reguliert zwar die wichtigsten Dinge, zur staatlichen Steuerung werden aber direkte und nicht marktkonforme Maßnahmen gesetzt. So wird zum Beispiel nicht der Zins erhöht, sondern die Kreditmenge beschränkt.


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Oder es dient nicht allein die Geldmenge zur Steuerung der Inflation, sondern es gibt auch direkte Preisfestsetzungen etwa bei Gas, Strom, Benzin. Andererseits herrscht jedoch ein wahrer "Räuberkapitalismus".

Wie ist dabei die Rolle der Kommunistischen Partei?

Die Partei ist dominant. Letztlich sind die einzelnen Institutionen wie die staatliche Reformkommission, Regierung oder der Präsident der Meinungsbildung der Partei untergeordnet.

Ganz grob betrachtet: Nach drei Jahrzehnten Hunger unter Mao und drei Jahrzehnten Reform, beginnend mit Deng Xiaoping - was bringen die nächsten 30 Jahre?

Die große Herausforderung wird der soziale Ausgleich sein. Wenn man von einer sehr egalitären Wirtschaft auf niedrigem Niveau unter Mao Tsetung ausgeht, dann hat die jetzige Reform ein starkes Auseinanderdriften der Einkommensniveaus zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen einfachen Arbeitern und hochqualifizierten Arbeitskräften sowie dem Management gebracht. Das strapaziert die Gesellschaft bis zur Zerreißprobe.

Jetzt muss das kaputte Gesundheitssystem repariert werden; ebenso das aufgegebene Pensionssystem, das viel zu rigide war: Die berühmte "eiserne Reisschale", wo man bei einer Arbeitseinheit begonnen hat, bei ihr in Pension gegangen und in ihr quasi noch gestorben ist, war für eine moderne Wirtschaft untragbar.

Die andere Seite ist: Wir haben Firmen besucht, wo 100 Prozent der Belegschaft nur Einjahresverträge hatten. Jetzt wurden wichtige Schritte gesetzt: etwa ein neues Arbeitsvertragsgesetz, wodurch kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse erschwert werden und mit höheren Kosten verbunden sind. Auch im Bildungswesen wird es Reformen geben müssen: Dieses ist einer modernen Gesellschaft nicht adäquat. Trotz vieler Universitätsabsolventen gibt es nicht die qualifizierten Arbeitskräfte, die gebraucht werden.

Schuhe, T-Shirts, Spielwaren: China war lange nur die "Werkbank der Welt". Heute gehören chinesische Firmen zu den Großinvestoren. Wie ist dieser Wandel geschehen?

Die Politik, dass chinesische Unternehmen im Ausland investieren, geht schon einige Zeit zurück. Sie hat nur ursprünglich nicht so stark gegriffen. Seit ungefähr fünf Jahren sieht man aber, dass Chinas Unternehmen eine "Go West"-Politik verfolgen. Das hängt mit den enormen Devisenreserven und hohen Gewinnen zusammen, die irgendwo angelegt werden müssen.

Auch haben Think Tanks gewarnt, dass die chinesische Wirtschaft, wenn sie die Werkbank bleibt, zwar den Umsatz erhöht, die Wertschöpfung aber gering ist und dies nicht ausreicht, um einen Aufholprozess der Einkommen einzuleiten. Dafür ist es notwendig, auf Produkte mit höherer Wertschöpfung umzusteigen.

Wie wurde das erreicht?

China hat es mit Hilfe der ausländischen Direktinvestitionen geschafft. Sie haben beobachtet, gelernt, kopiert - und sind zum Teil besser geworden als die, die sie kopiert haben. Das Thema Produktkopien ist noch nicht vorbei: Bei Elektronik ist man technologisch relativ weit, in anderen Bereichen hofft China noch auf Entwicklungssprünge - etwa bei Chemie.

Wie riskant sind für Westfirmen aufgrund der Produktspionage Joint-Ventures?

Die Firmen, mit denen ich gesprochen habe, sagen, man muss innovativ und immer sechs Monate voraus sein - und einkalkulieren, dass der Vorsprung nur eine kurze Zeit hält, in der man das Maximum herausholen muss.

Ist China überhaupt noch ein Billiglohnland?

In den traditionellen Industriezonen - im Süden, in der Gegend von Shanghai, ja eigentlich in der gesamten Küstenregion - ist China nicht mehr das billigste Land, Vietnam und Bangladesch sind billiger. Im Westen gibt es allerdings noch genug billige Arbeitskräfte. Dort wollen die Ausländer aber heute noch nicht hin.

Im Vorjahr sorgte die schlechte Qualität von Spielzeug für Schlagzeilen. Hat sich hier etwas gebessert?

Schritte wurden viele unternommen - es wurden Kommissionen gegründet, die vor dem Export die Qualität der Produkte kontrollieren sollen. Wie effektiv diese sind, ist für keinen Außenstehenden feststellbar. Meist werden in China ein paar Exempel statuiert. Effektive Kontrolle ist bei der Größe des Landes und der Zahl der Hersteller kaum möglich.

Europa und die USA fordern, dass China die Währung aufwertet, damit das Ungleichgewicht der Handelsbilanzen etwas korrigiert wird .

Diese Ungleichgewichte werden derzeit tendenziell abgebaut. Im Jahr 2008 ist das Tempo der Währungsaufwertung beschleunigt worden: Diese Bereitschaft hängt mit der hohen Inflation in China zusammen - durch die Aufwertung werden die Exporte teurer, aber die Importe billiger.

Es gibt allerdings von innen starke Kritik daran und tatsächlich schon Konkursfälle in den Bereichen Schuhe, Bekleidung und Spielwaren. Die Politik der Regierung ist allerdings, den Firmen eher Exportrabatte und Steuernachlässe zu gewähren, dafür aber bei der Währungspolitik hart zu bleiben.

Wie sehr treffen China die Rohstoffteuerungen?

Sehr. Bei Kohle ist China Selbstversorger, aber bei Öl ist es seit 1996 Nettoimporteur. Das macht große Probleme: Weil die Endpreise geregelt sind, fahren die Raffinerien riesige Verluste ein. Zwar wurden erstmals im Dezember und vor einem Monat erneut die Benzinpreise erhöht, das reicht aber bei weitem nicht aus, um die Kosten zu decken.

Der zweite kritische Rohstoff, bei dem China auf Importe angewiesen ist, ist Eisenerz.

"In den traditionellen Industriezonen ist

China nicht mehr das billigste Billiglohnland."