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In der scheinbar festgefahrenen Situation um die Bildung einer stabilen Regierung tut sich nun ein interessanter Ausweg auf. Nach dem Motto "wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte" könnte sich nun doch eine rot-grüne Koalition ausgehen - und das ganz ohne Neuwahlen. Denn Hans Peter Martin und die KPÖ liebäugeln mit der Anfechtung der Nationalratswahl. Sollte es tatsächlich zu einem derartigen Antrag kommen, dann können sich die Karten völlig neu mischen.
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Am aussichtsreichsten ist dabei eine Anfechtung des Ermittlungsverfahrens auf Bundesebene aufgrund der unterschiedlichen Listennamen des BZÖ in Kärnten und in den restlichen Wahlkreisen. Entscheidet der Verfassungsgerichtshof, dass "Die Freiheitlichen - Liste Westenthaler - BZÖ" und "Die Freiheitlichen in Kärnten - Liste Jörg Haider - BZÖ" zwei unterschiedliche Parteien sind, eine Neuaufteilung der Mandate anordnet, Neuwahlen wären in diesem Fall nicht notwendig. Das BZÖ würde in diesem Fall aus dem Parlament fliegen - eine rot-grüne Mehrheit ginge sich knapp, aber doch, aus.
Allerdings steht eine rot-grüne Mehrheit, die durch Anfechtung zustande gekommen ist, auf wackeligen Füßen. Die demokratische Legitimation wäre erheblich eingeschränkt. Deshalb wollen die Grünen - obwohl sie keine andere Regierungsform als eine große Koalition verlangen und sich damit de facto für Neuwahlen aussprechen - auch keinesfalls die Wahl anfechten. Profitabler für KPÖ, Martin und auch die Grünen wären da schon Neuwahlen.
Eine Wahlanfechtung von Kommunisten oder Martin wird deshalb wohl eher auf Vorgänge zu einem früheren Zeitpunkt im Wahlprozedere abzielen. Einen Angriffspunkt liefert hier etwa die Besetzung der Bundeswahlbehörde: Die Regierung hatte ja das BZÖ als Nachfolgepartei der wahlwerbenden Partei FPÖ aus 2002 anerkannt und den Sitz in der Behörde den Orangen zugesprochen. Die Bundeswahlbehörde selbst entschied dann aber genau umgekehrt und bedachte die FPÖ mit dem dritten Listenplatz - also der Nachfolgeposition der Blauen aus 2002. Dass damit in ein und derselben Rechtsfrage unterschiedlich entschieden wurde, könnte den VfGH zu der Erkenntnis bringen, dass die Besetzung der Bundeswahlbehörde rechtswidrig war, womit wir auch ohne rot-schwarzen Krach mit Neuwahlen rechnen müssten.
Sechseinhalb Wochen nach der Wahl ist also nur das bestätigt, was durch den freiheitlichen Bruderkrieg bereits mehr als deutlich war: Solange der VfGH in strittigen Fällen erst nach der Wahl und nicht bereits davor ein Machtwort sprechen kann, hat der Wähler nie das letzte Wort. Ein demokratisches Dilemma, das - im Falle von Neuwahlen - zudem mit Mehrkosten von elf Millionen Euro verbunden ist. Eine Reform der Nationalratswahlordnung wäre also dringend angebracht - denn wer garantiert, dass Wahlanfechtungen dieser Art nicht zu einem Dauerbrenner werden?