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Von Exzentrikern, Sonderlingen und grauen Mäusen

Von Walter Hämmerle

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Dass die Weisheit der Vielen die Besten an die Spitze hievt, ist eine angenehme Illusion. Immerhin: Ganz unmöglich ist es nicht.


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Schon die alten Athener wurden von erheblichen Zweifeln geplagt, ob ihre besondere Form der Elitenauswahl der Weisheit letzter Schluss ist. Die originelle Methode des Scherbengerichts, mit der unliebsame Geister per anonymem Mehrheitsbeschluss ins Exil geschickt werden konnten, war bestimmt ein zivilisatorischer Fortschritt im Vergleich zum althergebrachten Meuchelmord als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Nicht selten jedoch wurden auf diese Weise unbequeme, aber fähige Köpfe entsorgt.

Nur in höchster Not, etwa wenn gerade die einzige Supermacht in Gestalt des persischen Großkönigs in Anmarsch ist (Themistokles) oder - um 2400 Jahre nach vorne zu springen - sich die Briten einer drohenden Invasion vom Kontinent erwehren müssen (Churchill), kommen auch Demokratien nicht umhin, die Besten der Besten an die Spitze zu wählen.

Abseits solcher Ausnahmesituationen häufen sich aber die Stimmen jener, die das Prozedere demokratischer Auswahlverfahren zunehmend kritisch unter die Lupe nehmen. Nicht aus Standesdünkel gegenüber der Fähigkeit der einfachen Bürger, das Wichtige vom Populären zu unterscheiden, wie es vor hundert Jahren zum Standardrepertoire konservativer Gesellschaftskritik gehörte. Heute geraten Praxis und Methoden der politischen Auslese ins Visier der Skeptiker.

"Kurz gesagt: Präsidentschaftswahlen stoßen ausgeglichene Charaktere ab und ziehen dafür eigentümliche Sonderlinge an. Und dann befreien sie diese Exzentriker auch noch von den letzten Resten ihrer verbliebenen Selbstachtung." Mit diesen Worten fasste der britische "Economist" kürzlich ein neues Buch zweier renommierter US-Journalisten zusammen, das Barack Obamas Kampagne 2012 kritisch beleuchtet ("Double Down" von Mark Halperin und John Heilemann).

Mit der unerbittlichen Brutalität der US-Politik - und ihrer aktuellen Dämonisierung/Mystifizierung durch Hollywood - kann es das politische Geschäft im kleinen Österreich natürlich nicht aufnehmen, aber die Frage der Elitenselektion stellt sich natürlich auch in kleinerem Rahmen. Hier vielleicht sogar noch drängender, weil in und um Wien herum all jene Insignien wirklicher Macht, die den Job des US-Präsidenten am Ende trotzdem begehrenswert machen, fehlen.

Wobei sich überhaupt die Frage stellt: Welche Art von Politiker braucht ein Land wie Österreich? Eine Art Austro-Obama, also einen brillanten Kopf, mitreißenden Redner, der alles selbst am besten weiß, aber nicht zum Klein-Klein des täglichen Kompromissschmiedens taugt? Einen Staatsmanager, der die Republik wie ein Unternehmen leitet, möglichst effizient, möglichst kostensparend? Ein hemdsärmeliger Volkstribun als Rächer aller ewig Benachteiligten und Zu-kurz-Gekommenen? Oder doch eher einen Typus von der Art, wie das Land heute regiert wird: bürokratisch, strukturkonservativ und pragmatisch mit Hang zum rhetorisch verbrämten Opportunismus?

Wahltechnisch haben Letztere ganz klar die schlechtesten Karten. Und das ist ausnahmsweise nicht der Ignoranz der Bürger geschuldet.