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Von falschen Zahlen und unfairer Verteilung der Lasten

Von Konstanze Walther aus Griechenland

Politik

Gewerkschaften und Industrie wollen sparen, sind aber uneinig über das Wie.


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Athen. "Die Griechen sind mit 30 bis 50 Prozent Gehaltsverlust im freien Fall", meint Ioannis Panagopoulos, Präsident der griechischen GSEE (Gewerkschaft der Privatangestellten). Zwar kamen die griechischen Gewerkschaften in den vergangenen zwei Jahren wegen ihrer Streiks gegen die Sparmaßnahmen international unter Beschuss. "Ich würde aber angesichts der gewaltsamen Politik nicht sagen, dass unser Maßnahmen gewaltsam waren", so Panagopoulos. "Was würden Sie denn machen? Unsere Streiks sind ein wichtiges Ventil für die Wut der Leute. Gäbe es die nicht, würde es auf den Straßen zu offenen Kämpfen kommen. Oder meinen Sie, man solle einen 40-prozentigen Gehaltsverlust und arbeitslose Kinder mit einem Lächeln hinnehmen?" Die Gewerkschaften sind seit 20 Monaten im immer wieder aufflackernden Generalstreik, insgesamt kam es zu rund 15 Tagen Arbeitsniederlegung, "doch an den anderen Tagen haben wir umso mehr und länger gearbeitet", wehrt sich Kostas Tsikrikas, Präsident der Beamtengewerkschaft Adedy, gegen Kritik, man verhalte sich kontraproduktiv.

Überdies würden international falsche Zahlen kursieren. "Es heißt immer, dass Griechenland einen aufgeblähten Beamtenapparat habe. Von diesen angeblich 1,5 Millionen Beamten arbeitet nur ein Bruchteil im tatsächlichen Staatsdienst. Die meisten sind in nur in halbstaatlichen Betrieben wie der Bahn, die, zugegeben, schlecht funktioniert. Deren Gehälter werden auch nicht über das Staatsbudget gezahlt. In Wahrheit sind nur 400.000 Griechen Staatsbedienstete, das entspricht 10 Prozent der Beschäftigten", erklärt Tsikrikas. Seine einst unkündbaren Beamten wurden entweder gefeuert oder mussten einen immensen Gehaltsverlust hinnehmen. "Inzwischen bekommen sie nur noch ein Drittel von dem Gehalt, das ihre europäischen Kollegen bekommen."

In Griechenland herrscht von den Gewerkschaften bis zum Industriellenverband SEV der Konsens, dass der Gürtel enger geschnallt werden müsse. Doch die bisher ergriffenen Maßnahmen seien höchst einseitig. "Als die Regierung Papandreou gleich als erste Maßnahme 2009 einführte, dass wir nun eine zusätzliche 10-Prozent-Steuer auf unsere Gewinne aus dem Vorjahr entrichten müssen, hieß es, es wäre einmalig. Wir haben uns nicht beklagt", erklärt Dimitris Daskalopoulos, SEV-Präsident. Inzwischen ist diese Steuer permanent geworden. "Wann immer es ein Problem gegeben hat, sind sie wieder zu uns gekommen, weil sie wussten, wo wir sind, und haben uns noch eine Zusatzsteuer aufgebrummt", meint Daskalopoulos.

Schwer, Steuer zu zahlen

Ähnlich sehen das die Gewerkschaften: "Wir wissen alle, dass wir sparen müssen. Aber es darf nicht so unfair verteilt sein, dass nur die Angestellten und die Pensionisten leiden. Die Politik muss zielgerichtet auf jene zugehen, die schon immer Steuern hinterzogen haben: das Kapital und die Selbständigen", meint Panagopoulus.

In die Gruppe der Selbständigen fallen in Griechenland viele: nicht nur Rechtsanwälte und Ärzte, sondern auch Ein-Personen-Unternehmen in der Produktion. Griechenland hat laut einem europäischen Vergleich aus 2009 die größte Gruppe von Klein- bis Kleinstunternehmen (0 bis 9 Personen): Diese machen 30 Prozent der Betriebe aus. Zum Vergleich: In Portugal sind es 20 Prozent, in Österreich nur 7 Prozent. Diese Kleinstfirmen sind steuerlich besonders schwer greifbar.

"Griechenland macht es seinen Bürgern bisher nicht besonders leicht, Steuern zu zahlen", erzählt der österreichische Botschafter in Athen, Michael Linhart. Der Amtsweg funktioniere noch immer "händisch". Vorhandene Computer würden nie verwendet. Ist die Schlange vor dem Amt zu lange, komme man erst nächste Woche oder überhaupt nie wieder. Außerdem könne es sein, dass der Steuerbescheid erst noch amtlich geprüft werde, da vergehen wieder Monate. Falls man den Bescheid beeinsprucht, können bis zu fünf Jahre verstreichen, ohne dass effektiv Steuern gezahlt werden. "Und nun wird von den Beamten ein hohes Maß an Eigeninitiative gewünscht, um an die Steuern heranzukommen. Die sind aber derzeit verständlicherweise nicht die motiviertesten."