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Von Freunden und Gegnern

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Man würde es in unseren aufgeklärten Zeiten ja nicht glauben, aber es erleichtert den Zusammenhalt einer Gruppe, seien es Menschen, seien es Staaten, beträchtlich, wenn sich alle einig sind, wer und wo der gemeinsame Feind ist.

Was geschieht, wenn das nicht der Fall ist, haben die letzten Jahrzehnte der internationalen Politik vorgeführt.

Die westliche Staatengemeinschaft behauptet von sich gerne, dass sie von einem Band gemeinsamer historischer Entwicklungen und Werte zusammengehalten wird. Das ist mit Sicherheit richtig, aber wirklich eng arbeitete dieses Bündnis nach 1945 immer nur zusammen, wenn es ein gemeinsamer Gegner zusammenschweißte. Das war in den ersten Jahrzehnten die Sowjetunion. Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus wurde der Verlust des Gegners kurz sogar als Erleichterung empfunden: Endlich konnte jede Seite des Atlantiks auch eigenen Neigungen und Interessen nachgehen.

Eine Erfolgsgeschichte ist daraus dann eher nicht geworden. Auf jeden Fall häufen sich seitdem Artikel und Bücher, die den "Zerfall des Westens" behaupten oder demnächst kommen sehen. Die Herausforderungen eines islamistischen Fundamentalismus, der Europa und die USA (und weite Teile der islamischen Welt) in Angst und Schrecken versetzt, ist offensichtlich als alleiniges Bindemittel nicht stark genug. Von den westlichen Werten ganz zu schweigen.

Aktuell dagegen erlebt die transatlantische Interessengemeinschaft eine zumindest rhetorische Renaissance. Neben Deutschland und Frankreich stellten sich auch die USA uneingeschränkt hinter Großbritannien in dessen Auseinandersetzung mit Moskau um einen mit Nervengift schwer verletzten ehemaligen russischen Ex-Spion.

Die vier Führungskräfte des brüchig gewordenen transatlantischen Westens demonstrieren damit eine bemerkenswerte Einigkeit: Man ist sich einig, dass fast alles für ein russisches Komplott spricht. Russland als einigende Bedrohung ist zurück auf der Weltbühne: Vergleichbares gelingt derzeit weder dem Iran noch dem verfemten Nordkorea und schon gar nicht China, um dessen ökonomische Gunst ausnahmslos alle Staaten buhlen (selbst wenn Washington
derzeit Peking mit Strafzöllen droht).

Klar ist allerdings: Russland allein wird die Einigkeit des Westens nicht retten, schon weil sich Moskau keine anhaltende Konfrontation ökonomisch und politisch leisten kann. Wenn im Verhältnis zum Kreml wieder die Sonne scheint, steht der Westen daher erneut vor der Frage: Was hält ihn zusammen? Ein Gegner, so traurig das ist, würde helfen. Weil die Werte dazu offensichtlich nicht ausreichen.