Gastbeitrag: Interessante zivil- und verkehrsrechtliche Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs.
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Auch in den Sommermonaten lohnt sich ein Blick auf die aktuellen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (OGH). Dieser hatte sich vor dem Beginn der Sommerferien noch mit sehr interessanten zivil- und verkehrsrechtlichen Entscheidungen zu befassen:
Der "Vorrang"
der Fußgänger
Diese Situation kennt jeder Autofahrer, der mit seinem Fahrzeug des Öfteren aus einer Parkgarage fährt. Im konkreten Fall fuhr die Erstbeklagte mit ihrem Pkw aus einer Tiefgarage heraus. Der Straßenverkehrsordnung (StVO) entsprechend hielt sie ihr Fahrzeug vor dem Gehsteig an, der quer zur Ausfahrt verlief. Dies tat sie, da sie nach rechts einbiegen wollte, um den Straßenverkehr ausreichend beobachten und die Gasse einsehen zu können.
Zu diesem Zeitpunkt näherte sich eine andere Dame, die spätere Klägerin, als Fußgängerin auf dem Gehsteig aus Blickrichtung der Erstbeklagten von rechts. Sie blieb vor der Tiefgaragenausfahrt stehen, weil sie den Pkw der Erstbeklagten gesehen hatte. Die Erstbeklagte und die Klägerin hatten kurzen Blickkontakt. Daraufhin wendete die Erstbeklagte jedoch ihren Blick nach links und fuhr los, als kein Fahrzeug auf der Gasse zu sehen war und die Verkehrssituation dies zuließ. Dabei kam es zum gegenständlichen Unfall. Der Pkw der Erstbeklagten stieß die Klägerin nieder, die inzwischen wieder losgegangen war. Bei diesem Unfall wurde die Klägerin verletzt, weshalb sie Schmerzengeldansprüche geltend machte.
Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht entschieden, dass die Erstbeklagte nicht ausreichend aufmerksam gewesen sei. Das Stehenbleiben der Klägerin habe jedoch eine unklare Verkehrssituation herbeigeführt. Nach Meinung des Erst- und Berufungsgerichts hätte sich die Klägerin folglich vor ihrem Losgehen vergewissern müssen, dass die Erstbeklagte sie vor ihrem Pkw passieren lassen würde. Klägerin und Erstbeklagte treffe das gleichteilige Mitverschulden.
Der Oberste Gerichtshof sah das anders und verneinte hingegen ein Mitverschulden der Klägerin. Der OGH sah den Sachverhalt so, dass die Klägerin auf dem Gehsteig, der ausschließlich dem Fußgängerverkehr gewidmet sei, "Vorrang" vor der erstbeklagten Lenkerin hat. Nach dem Anhalten der Erstbeklagten durfte die Klägerin daher darauf vertrauen, dass die Erstbeklagte sie passieren lassen würde und wieder losgehen. Das Alleinverschulden am Unfall traf somit die unaufmerksame erstbeklagte Lenkerin. (Geschäftszahl: OGH 16.05.2017, 2 Ob 59/17s)
Mangelnde Sicherheit
auf der Autobahn
In diesem Fall hatte sich der OGH mit einem schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn und dessen Gründen zu befassen. Konkret hatte ein Lkw auf einer Autobahn die zur Trennung der Richtungsfahrbahnen errichtete Betonleitwand durchbrochen. Dies führte zu einer Frontalkollision mit einem entgegenkommenden Pkw.
Die Trennwand, die aus Beton bestand, entsprach nicht den technischen Voraussetzungen für eine auf Dauer angelegte Fahrbahntrennung, weil sie zu gering dimensioniert war. Sie hielt bei einer Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern nur dem Anprall eines Pkw in flachem Winkel stand, nicht aber dem Anprall eines Lkw. Eine Trennwand in entsprechender Stärke hätte den Lkw aufgehalten. Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht gaben dem auf den Ersatz eines Viertels des Schadens gerichteten Klagebegehren des Regressgläubigers statt.
Der Oberste Gerichtshof billigte diese Entscheidung. Die außerordentliche Revision des beklagten Autobahnhalters wurde vom OGH zurückgewiesen. Er betonte, dass bei einer auf Dauer angelegten Fahrbahntrennung auf einem als gefährlich bekannten Straßenabschnitt wegen der regelmäßig schwerwiegenden Folgen von Lkw-Unfällen eine Trennwand mit ausreichendem "Aufhaltevermögen" erforderlich ist. Trennelemente in der erforderlichen Stärke wären zur Verfügung gestanden und hätten auf dem Mittelstreifen Platz gehabt. (OGH 16.05.2017, 2 Ob 61/17k)
Zum Autor
Christoph
Krones
ist als Rechtsanwalt in Wien tätig. Im Bereich des Zivil- und Zivilverfahrensrechts zählt das Reiserecht zu seinen Spezialgebieten. privat