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Von Grenzen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Die Herablassung, mit der Europas Establishment auf die Träumer von Syriza blickte, war unangebracht. Zwar stimmt Wolfgang Schäubles Satz vom Regieren als "Rendezvous mit der Realität", nur war Athen mit seiner Weigerung, Tatsachen anzuerkennen, nicht allein. Dass sich die Regierungschefs nun entschlossen haben, dem Schutz der EU-Außengrenzen Augenmerk zu schenken, ist der Erkenntnis geschuldet, dass Europa die Kontrolle über diese verloren hat.

Allein das Wort Grenzen löst heute bei kritischen Geistern Unbehagen aus. Das ist wenig verwunderlich für eine Region, durch deren Mitte ein Eiserner Vorhang verlief, undurchdringlich und von einer Seite mit Selbstschussanlagen bestückt. Nur deshalb konnte das Durschneiden des Stacheldrahtzauns in das kollektive Gedächtnis des europäischen Projekts eingehen. Die Auflösung nationaler Grenzen im Inneren wurde seitdem zu einer "Raison d’Etre" der Union.

Die Verteufelung von Grenzen ist dabei genauso falsch wie ihre Verklärung zur Lösung aller Probleme. Grenzen sind weder gut noch schlecht, sie sind schlicht Voraussetzung allen politischen Handelns. Deshalb gibt es auch keine historisch zwingende Entwicklung hin zur Auflösung von Grenzen, sondern allenfalls die Tendenz hin zu größeren Einheiten (und das nicht zwingend, wie die steigende Anzahl staatlicher Gebilde zeigt). Und es gibt auch keine "natürlichen" Grenzen, sondern ausschließlich von Menschen politisch, kulturell oder militärisch konstruierte.

Wie daher politische Einheiten mit ihren notwendigen Grenzen umgehen, bestimmt ihr Selbstverständnis. Die Bandbreite für liberale Regime demonstrieren die USA, deren Grenze im Norden weitgehend unsichtbar verläuft, während im Süden Sicherheitskräfte entlang von Zäunen patrouillieren. Das Gros der Einwanderer gelangt trotzdem dort in das "gelobte Land".

Wenn die EU sich selbst ernst nimmt und von anderen ernst genommen werden will, muss sie die Souveränität über die Integrität ihres Territoriums bewahren. Dazu gehört die Kontrolle ihrer Außengrenzen. Mit einem Rückfall in die Zeit des Kalten Kriegs hat das nichts zu tun, einfach weil die EU mit jenen Regimen nichts zu tun hat, die für den Eisernen Vorhang die Verantwortung trugen. Am Menschenrecht auf Asyl und an der geopolitischen (Mit-)Verantwortung für eine Lösung der Kriege und Krisen in der Nachbarschaft ändert das keinen Beistrich.