Zum Hauptinhalt springen

Von Haltung und Rhetorik

Von Simon Rosner

Analysen
Michael Häupl hatte dem Papier zugestimmt - seine Parteifreude laufen Sturm.
© photonews.at/George Schneider

Analyse: In der SPÖ offenbaren sich nach der Gipfeleinigung erste Risse.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Manchmal werden die Grenzlinien in der politischen Debatte schon allein durch die Rhetorik gezogen. Der Ton macht nicht nur die Musik, sondern derzeit auch Österreichs Flüchtlingspolitik. Zaun oder Türl mit Seitenteilen? Obergrenze oder Richtwert? Wichtig scheint, was das Ausland, die Medien und in weiterer Folge auch Flüchtlinge weltweit darunter verstehen.

Die Einigung auf eine Einigung, auf die sich die Bundesregierung am Mittwoch verständigt hatte, zog einen sofortigen Dissens von Teilen der SPÖ nach sich, vor allem aus Wien. Noch am Abend wurde via Facebook klargestellt: "Wir halten Obergrenzen für Flüchtlinge nicht nur für falsch, sondern auch für rechtswidrig. Daher findet sich auch der Passus zur Rechtsprüfung im Asylgipfelpapier, um dies ein für allemal festzustellen und damit die Diskussion zu Obergrenzen zu beenden."

Dieser nun offenbar auch juristisch zu führende Streit harrt damit seiner finalen Entscheidung. Die SPÖ Wien ist sich sicher, dass es keine Obergrenze geben wird, was schon allein deshalb bemerkenswert ist, da sich der Begriff der Obergrenze in dem Einigungspapier der Bundesregierung gar nicht findet. Da ist nur von einem Richtwert zu lesen, also einer Zielsetzung, einem "Wir wollen". Das ist doch ein feiner, aber bedeutender Unterschied. Ein Richtwert verlangt nicht notwendigerweise ein Folgeszenario im Fall dessen Erreichung. Bei einer Obergrenze ist die Frage hingegen zwingend, was passiert, wenn die Grenze überschritten wird.

Doch es geht nicht nur um Semantik. Für Teile der SPÖ berührt die Frage des Umgangs mit Schutzsuchenden das Fundament ihrer politischen Ideologie und Arbeit. Es war nicht einfach nur Kalkül, dass die Wiener SPÖ im herbstlichen Wahlkampf in Sachen Flüchtlingspolitik die Humanität an erste Stelle ihres Wirkens gestellt hat, es war auch Überzeugung. Es hatte sich offenkundig aber bezahlt gemacht. Auch wenn die SPÖ tatsächlich Stimmen und Wähleranteile verlor, war es ein gefühlter Erfolg - und damit auch eine Art Handlungsanweisung an die Bundespartei.

Widerstand gegen Paket

Kanzler Werner Faymann hatte in Sachen Grenzregime auch eine sehr klare Linie. Er lehnte Zäune ab und stellte sich auch gegen Kontrollen, die zu chaotischen Szenen an den Grenzen führen könnten. Auch in seiner Dialektik hatte Faymann stets Distanz zu Forderungen des Koalitionspartners ÖVP gehalten. Bis Mittwoch.

Möglich ist, dass der Schwenk in der Flüchtlingspolitik in erster Linie ein kommunikativer war. Das werden die kommenden Wochen sowie das Gutachten über die Durchsetzungsmöglichkeit von Obergrenzen zeigen. Parteiintern wird das Gipfelergebnis derzeit aber sehr wohl auch als Umfallen der Parteispitze gewertet. Am Donnerstag schneite es in ganz Österreich skeptische bis ablehnende Stellungnahmen von SPÖ-Politikern, darunter Kärntens Landeschef Peter Kaiser sowie von der Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely.

Die ÖVP hat beim Flüchtlingsthema jedenfalls die Agendasetzung übernommen. Der lange von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner geforderte Zaun wurde an der Grenze tatsächlich aufstellt - wenn auch mit Lücken -, und mit dem ministeriellen Entwurf zu "Asyl auf Zeit" schuf Mikl-Leitner ebenfalls Tatsachen und zwang den Koalitionspartner zu reagieren. Wien reagierte übrigens mit Widerstand gegen die Novelle, die laut Gipfel jedoch bereits am kommenden Dienstag im Ministrat beschlossen werden soll.

Gerade für Wien geht es dabei nicht nur um Haltung und Überzeugung. Als am meisten belastetes Bundesland, wo noch dazu viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, sind in Sachen Integration andere Antworten zu finden als auf dem Land. Und diese finden sich im Einigungspapier offenbar nicht ausreichend - auch das wird aus Wien kritisiert. Auch parteiintern werden die kommenden Wochen daher für die SPÖ spannend, wobei es naturgemäß auch andere Stimmen gibt. Wohnbau-Stadtrat Michael Ludwig wertete das Resultat des Gipfels als "wichtiges Signal" und Burgenlands Hans Niessl gar als "unbedingt notwendig".

Da eine Lösung auf EU-Ebene, die lange als Hoffnung (und damit auch als Druckablassventil diente) nach wie vor nicht in Sicht ist, verstärkte sich aber zunehmend der Druck auf die Bundes-SPÖ. Diesem gab sie nun aus Sicht einiger Wiener Genossen nach.