)
Strenge Auswahl, kaum Drop-outs. | Hohe Leistungsbereitschaft, lebenslange Partnerschaft. | Wien. Harvard nimmt im amerikanischen und internationalen Umfeld eine Sonderrolle ein. Vergleiche mit österreichischen Universitäten hinken.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Harvard verfügt über 22,6 Milliarden USD Stiftungsvermögen, bei 19.638 Studenten. Von den Bewerbern werden rund 15 Prozent in die elf Schulen von Harvard aufgenommen. Auf zehn Studierende kommt in Harvard ein Lehrender. Aus diesen wenigen Kennzahlen, lässt sich ableiten, dass es sich um einen besonderen Fall handelt, der auch weltweit einzigartig ist. Dennoch können einige allgemeine Lehren gezogen werden.
Auswahl schafft Qualität
Der öffentliche Hochschulzugang in Österreich ist eine heilige Kuh und jedes In-Zweifel-Ziehen wird als Ende des offenen Bildungszugangs interpretiert. Dies führt dazu, dass Österreichs Universitäten gezwungen sind, vor allem in der Einführungsphase über Qualitätsprüfungen die Zahl der Studenten massiv zu reduzieren. Das "Hinausprüfen" im ersten Semester hat in vielen Fächern Tradition. Die hohen Studiengebühren in Harvard (rund 40.000 USD im Jahr) sind nicht die wichtigste Hürde. Allein an der Kennedy School kommen 40 Prozent der Studenten in den Genuss eines Stipendiums.
Im amerikanischen System führt der rigorose Bewerbungsprozess der mit einer halbjährlichen Vorbereitung für die Aufnahme verbunden ist, zu einer qualitativen Selektion. Kriterien für die Aufnahme sind:
Bisherige akademische und berufliche Leistung
Bisheriges außerberufliches Engagement (Studentenvertretung, Vereine, soziale Dienste, etc.)
Kenntnis der englischen Sprache
Teamfähigkeit
Ambitionierte und möglichst stringent argumentierte berufliche Zukunftspläne
Persönlicher Reifegrad
Diese Faktoren werden einerseits durch Tests (Toeffl, GRE) und andererseits durch Interviews beziehungsweise persönliche Essays und Referenzschreiben, die eine Gesamtkomposition ergeben sollten, getestet. Wenn diese Hürden überwunden sind, gibt es eine weitgehende Verpflichtung der Universität, den Studenten als Kunden und Partner zu sehen. Die "drop-out rate" an der Harvard University beträgt rund fünf Prozent.
Die Gründe dafür liegen in einer exzellenten Betreuung, aber auch in der hohen Verfügbarkeit der Professoren, die schon aufgrund des optimalen Betreuungsverhältnisses einen direkten und persönlichen Kontakt aufbauen.
Ich möchte dies an zwei Beispielen dokumentieren:
a) Einführungsvorlesungen: Die Einführungsvorlesungen sind die prestigeträchtigsten Vorlesungen überhaupt. Vortragende der Einführungsvorlesung in Makroökonomie sind z. B. Martin Feldstein, der auch als Notenbank-Präsident gehandelt wurde oder Gregory Mankiw, einer der bekanntesten Volkswirte unserer Zeit. Larry Summers, der Präsident der Harvard University und letzte Finanzminister des Kabinett Clintons, führt die Erstsemestrigen in "Globalisation" ein.
b) Zugänglichkeit der Professoren: Das selbständige Verarbeiten von Stoff in großem Umfang ist eine Grundbedingung, und wenn der Professor allfällige Schwächen merkt, ist man sofort aufgefordert in die Sprechstunde zu kommen. Der direkte Kontakt zwischen Professor und Studenten wird intensiv gepflegt. Eine bekannte Institution sind gemeinsame Mittagessen, bei denen Professoren von den Studenten eingeladen werden und die Kosten vom Büro des Rektors rückerstattet werden.
Ein Schluss daraus ist: Eine höhere Selektivität beim Eingangsprozess erhöht auch massiv den Output und führt zwangsläufig auch dazu, massiv die Qualität zu steigern.
Vielfalt als Chance
Vielfalt ist eine Schlüsselfrage bei der Auswahl von Studierenden an amerikanischen Top-Universitäten. Es wird massiver Wert auf unterschiedliche nationale, ethnische und berufliche Herkunft gelegt. An der Kennedy School of Government (KSG) sind Studierende aus 83 Nationen vertreten. Weiters ist die Mischung von Managern, Unternehmern und NGO-Vertretern ein Schlüsselfaktor für die Aufnahme. Eine massive Erhöhung des Frauenanteils ist ein weiterer Fixpunkt.
Der Grund dafür ist, dass die Lernerfahrung massiv von der Klasse, den kulturellen und persönlichen Erfahrungen der Klassenkameraden geprägt ist. Der Professor ist nur ein Teil des Systems. Ein massiver Teil des Lernerfolgs erfolgt insbesondere bei einem höheren Durchschnittsalter, das im Fall unserer Klasse bei 46 Jahren lag. Team- und Projektarbeit sind wie e-learning fixe Bestandteile des Studiums. Im Alltag ist es eine massive Herausforderung mit Kollegen aus Afrika, China, Indien Projekte zu erarbeiten.
Ein Jahr multikulturellen Lernens erhöht das Verständnis für die Eigenheiten von Kollegen anderer Herkunft, es bietet auch eine breitere Möglichkeit für die Lösung von Problemen. Vielfalt heißt daher auch Interdisziplinärität und Praxisrelevanz. Das Lehrprogramm sieht vor, Probleme aus unterschiedlichen Fachperspektiven zu lösen. Die Institute sind daher interdisziplinär eingerichtet. Ein Großteil der Professoren war selber in Unternehmen oder der Verwaltung tätig, und der Unterricht ist von der Praxis geprägt.
Leistung ist positiv
Als ich unvorbereitet in meiner ersten Studiengruppe erschien, wurde ich von meinen Kollegen aufgefordert, im nächsten Treffen vorbereitet zu sein oder eine andere Gruppe zu suchen. Der österreichische Zugang "Na schauen wir einmal" führt in diesem Umfeld nicht unbedingt zum gewünschten Ergebnis. Die Studenten sind mit einer extrem hohen Leistungsbereitschaft ausgestattet, aber auch das Leistungsvermögen wird massiv gefördert. Ein Beispiel sind die Vielzahl an Auszeichnungen für außerordentliche Leistungen am Ende jeden Semesters. Leistung ist also extrem positiv besetzt. Es besteht große Leistungsbereitschaft von Seiten der Studierenden, aber auch von Seiten des Lehrkörpers dies unter Beweis zu stellen.
Lebenslange Kontakte
Die Universität stellt den Anspruch, nicht nur exzellente Fachleute auszubilden, sondern den Studierenden und seine Persönlichkeit zu fördern. Ein eigenes "Karrierenbüro" steht Studierenden offen, um Karriereplanung zu betreiben oder Kontakte zu knüpfen. Die Absolventen-Organisation von Harvard ist nicht nur bei finanziellen Zuwendungen höchst effizient (während meines Studiums wurden 30 Millionen USD von ehemaligen Absolventen an unsere Fakultät gespendet), sondern spielt auch in der öffentlichen Debatte in Amerika eine zentrale Rolle.
Conclusio: Es ist unglaublich wie viel an Wissen verarbeitet werden kann, wenn das Lernen Spaß macht und das Umfeld auch zur Leistung anregt. Die multikulturelle Umgebung gibt aber auch die Chance die eigene Weltsicht massiv zu hinterfragen und damit die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Zum Autor
Der Autor, Generalsekretär im Lebensministerium (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, BMLFUW), hat das Studienjahr 2004/05 an der Harvard Universität, John F. Kennedy School of Government verbracht und das Studium mit einem Master of Public Administration abgeschlossen.