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Von Hochstaplern und Fachidioten

Von Bettina Figl und Petra Tempfer

Politik

In Deutschland erste Schulen nur für Hochbegabte. | Modulare Oberstufe setzt auf Begabtenförderung. | Hochbegabung kann verkümmern.


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Hamburg/Wien. Einstein war kein schlechter Schüler, aber ein aufmüpfiger; er legte sich gerne mit den Lehrern an. Heute würde man ihn wohl als "Underachiever" ("Minderleister") bezeichnen: Hochbegabte, die unter ihren Möglichkeiten bleiben und aufgrund ihrer Andersartigkeit anecken. Gabriele Hartl will diese Kinder "auffangen". Zu diesem Zweck hat sie die Oko Private School in Hamburg gegründet, eine der ersten Schulen für Hochbegabte in Deutschland.

Der Schulbetrieb soll am 11. August starten, sofern die letzten Auflagen erfüllt sind. Die 20 angemeldeten Schüler zwischen zehn und 18 Jahren erwartet ein jahrgangs- und fächerübergreifender Unterricht, 200 Euro pro Monat kostet die Begabtenschmiede.

In Österreich gibt es keine eigene Schule für Hochbegabte, nur den Schulversuch der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien. Seit 13 Jahren werden hier Hochbegabte in der Oberstufe des öffentlichen Wiedner Gymnasiums unterrichtet, rund 200 Schüler jährlich pro Jahr. Für Unterstufenschüler gibt es Modellklassen im Bundesrealgymnasium Keimgasse in Mödling.

Einige Experten kritisieren, Schulen exklusiv für Hochbegabte seien keine gute Idee. Die Psychologin Eva Novotny meint: "In einer Demokratie braucht es keine Fachidioten, sondern Menschen mit Verständnis, die sich mit Dingen kritisch auseinandersetzen und soziale Codes verstehen."

"Nur die Herkunft zählt"

Zudem sei im Beruf ohnedies nicht die Leistung entscheidend, sondern "launige Hochstapelei". Auch der Elitenforscher Michael Hartmann meint, dass eher die Herkunft Karriere ermögliche. 80 bis 90 Prozent der Hochbegabten seien keine Problemschüler, auch er sei als Hochbegabter in der Regelschule gut durchgekommen, erzählt der Soziologe.

Ganz anders sieht das freilich Hartl, die demnächst die Hamburger Begabtenschule leiten soll. Sie erzählt: Ihr Sohn Justus - ebenfalls hochbegabt - wäre an der Regelschule gescheitert, wenn sie die Lehrer nicht auf dessen Begabung aufmerksam gemacht hätte. Mit ihrer Schule für Hochbegabte will sie verhindern, dass sich diese durch Unterforderung in "Underachiever" verwandeln. 85 Prozent der Angemeldeten seien Buben - Mädchen würden seltener negativ auffallen.

Wie Novotny ist auch Edwin Scheiber, Direktor der Sir-Karl-Popper-Schule, überzeugt: Kindern wird Hochbegabung in die Wiege gelegt. Er glaubt aber, dass nicht geförderte Begabung verkümmern kann.

Auch Stefan Hopmann, Bildungswissenschafter an der Uni Wien, glaubt, dass es hochbegabte Kinder gibt - allerdings "sehr, sehr selten". Höher sei die Zahl "überengagierter Eltern".

Für Novotny hingegen ist Hochbegabung "Humbug" und alles andere als wissenschaftlich untermauert. "Natürlich gibt es sie", entgegnet der Genetiker Markus Hengstschläger. Aber ob diese Begabung in Leistung resultiert, sei die Konsequenz aus angeborenen Voraussetzungen und deren Umsetzung. Mozart etwa hatte ein besonderes Gehör und herausragende visuelle Fähigkeiten. Doch das hätte nichts genutzt, hätte er nicht stundenlang geübt.

In diesem Punkt stimmt die Psychologin Novotny dem Genetiker zu: Nur durch Übung erreiche man Höchstleistung. Mindestens 10.000 Stunden Training benötige etwa ein Schachspieler, bis sich das Gehirn die Spielzüge eingeprägt hat. Spitzenleistung komme an der Grenze zur Überforderung zustande.

Auch das von Unterrichtsministerin Claudia Schmied forcierte Modell zur Modularen Oberstufe beinhaltet stärkere Begabtenförderung. Es wurde allerdings kritisiert, dass die Lehrer erst speziell ausgebildet werden müssten. Eine weitere Eigenschaft des Modells ist, dass man Semester überspringen kann.

Langeweile gehört dazu

Doch macht es immer Sinn, Klassen zu überspringen? Hopmann etwa hat es seiner hochbegabten Tochter verboten. Denn die Welt bestehe nicht nur aus Kognition, sagt der Bildungswissenschafter: "Ich muss lernen, mit anderen Menschen auszukommen und mit Langeweile umzugehen."

Novotny steht dem Klassenüberspringen ebenfalls kritisch gegenüber. Sie befürchtet, dass dabei Verständnis und Auseinandersetzung zu kurz kommen.

Für den Elitenforscher Hartmann ist generell die Tatsache problematisch, dass ein solcher Kult um Hochbegabung betrieben wird. Eine relativ kleine Gruppe werde viel diskutiert, und hinter der vermuteten Hochbegabung verberge sich oft gar keine. Denn: "Herumzappeln allein ist kein Indiz für eine Hochbegabung".